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Kommentar ObamaEin Erfolg, der auch das Scheitern zeigt

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Für die USA ist Obamas Reform ein großer Schritt. Aber der Prozess hat auch gezeigt, dass von Obamas Vorhaben, die politische Kultur zu verändern, nichts übrig geblieben ist.

J etzt hat Barack Obama wirklich etwas erreicht. Mit der Verabschiedung der Gesundheitsreform am Sonntagabend steht fest, dass Obamas Präsidentschaft nicht mehr nur aufgrund seiner Hautfarbe das Prädikat "historisch" verdient.

Sicher, es klingt verrückt, dass ausgerechnet das reichste Land der Erde erst gut 60 Jahre nach allen anderen westlichen Industrienationen darangeht, zumindest fast all seinen BürgerInnen einen leidlich normalen Zugang zum Gesundheitssystem zu verschaffen. Noch unglaublicher scheint es, dass darüber ernsthaft ein erbitterter ideologischer Streit ausgetragen wird und ein Großteil der Bevölkerung tatsächlich glaubt, was die Republikaner an Lügen, wirren Behauptungen, Verleumdungen, Angstmache und schlichtem Irrsinn in die Welt gesetzt haben. Eigentlich ist das alles ziemlich armselig. Amerika habe gezeigt, dass es in der Lage sei, große Dinge zu tun, jubelte Obama am Sonntagabend. Na ja.

Dennoch: Für die USA ist Obamas Reform, so entkernt und verflacht sie nach einjähriger Debatte ist, ein großer Schritt. Aber der Prozess hat auch gezeigt, dass von Obamas Vorhaben, die politische Kultur zu ändern, nichts übrig geblieben ist. Sachliche Zusammenarbeit, Kompromisse? Fehlanzeige. Ein in der Finanzkrise gewachsenes parteiübergreifendes Verständnis, dass staatliches Handeln nicht nur des Teufels ist? Woher denn.

Bild: taz

Bernd Pickert ist Redakteur im Ressort sonntaz und spezialisiert auf Außenpolitik.

Obama hat sich nur durchsetzen können, weil er und Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi alle Instrumente des Politgeschäfts genutzt haben, auch die hässlichsten. Und das hat gerade einmal gereicht, um ausreichend Abgeordnete der eigenen Partei zu gewinnen. Gut, dass sie das geschafft haben. Aber nachhaltige Veränderung des Denkens sähe anders aus.

Die Republikaner, in den letzten zehn Jahren zur fast rein konservativen Partei gewandelt, mauern als geschlossene Opposition. Sie vertreten ein klares und immer einheitlicheres Weltbild, verkaufen es als "amerikanische Werte" - was nicht stimmt! - und lassen Obama als staatsgläubigen Außerirdischen erscheinen. Trotz Eloquenz und Charisma des Präsidenten, trotz Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses wirken Obama und die Demokraten wie getrieben. Jetzt verabschieden sie die wichtigste Reform der letzten 50 Jahre, und schon fürchten sie sich vor einer Klatsche bei den Kongresswahlen im November. Verkehrte Welt, herzlichen Glückwunsch!

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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7 Kommentare

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  • AM
    Arne Matschinsky

    Dieses Gesetz umfaßt ca. 2000 Seiten plus Anhänge, wieviele Abgeordnete und Senatoren haben es wirklich ganz gelesen? Dazu las ich folgendes:" Es wird naehmlich jeder gezwungen werden, private (Marketplace) Versicherungen zu kaufen, also keine Public option oder gesetzl. Versicherung.... Die Reform wurde auch von den Vorstaenden der Versicherungsindustrie entworfen. Deshalb gingen gleich nach Durchwinken die Aktien nach oben....Die Amis werden nun gegen Strafandrohung von Gefaengnis oder Zahlung dazu gezwungen Versicherung zu kaufen.

    Ich denke auch dass es sich fuer die Armen die bisher in Medicaid versichert waren verteuern wird."

    Hört sich gar nicht gut an. Also: Wer hat das ganze Gesetz gelesen und kann den Inhalt korrekt wiedergeben?

  • S
    sol1

    ///... die USA das reichste Land der Welt...///

     

    Ach ja?

     

    Im Human Development Index schneiden Länder wie Norwegen, die Niederland, Schweden und Frankreich mitz denkbar gering ausgeprägter "Staatsparanoia" besser ab als die USA.

  • TB
    Taha Bendeleri

    Der verehrte Herr Kren geht sicher auch davon aus, dass Deregulierung das ideale Mittel gewesen wäre, die Finanzkrise zu meistern... Wenn wir alle Banken hätten bankrott gehen lassen, ständen wir - und vor allem Amerika - viel besser da! Die Deregulierung soll leben... Und wer kein Geld hat soll lieber früher als später sterben...

  • FK
    Florian Kren

    "Sicher, es klingt verrückt, dass ausgerechnet das reichste Land der Erde erst gut 60 Jahre nach allen anderen westlichen Industrienationen darangeht, zumindest fast all seinen BürgerInnen einen leidlich normalen Zugang zum Gesundheitssystem zu verschaffen. Noch unglaublicher scheint es, dass darüber ernsthaft ein erbitterter ideologischer Streit ausgetragen wird und ein Großteil der Bevölkerung tatsächlich glaubt, was die Republikaner an Lügen, wirren Behauptungen, Verleumdungen, Angstmache und schlichtem Irrsinn in die Welt gesetzt haben."

     

    " Ein in der Finanzkrise gewachsenes parteiübergreifendes Verständnis, dass staatliches Handeln nicht nur des Teufels ist? Woher denn. "

     

    Noch unglaublicher erscheint mir, dass einem politisch interessierten Menschen und das sind wohl taz Journalisten, eine einfache Frage nicht ins Auge springt:

     

    Wenn in den USA es so wie jetzt gerade sichtbar eine virulente Staatsparanoia gibt und die USA das reichste Land der Welt sind, besteht da vielleicht ein Zusammenhang?

     

    Vor allem da da immer wieder diese Oekonomen sind, von denen die taz wohl denkt, dass sie von der Industrie geschmiert sind, die behaupten, dass Deregulierung, Senkung der Staatsausgaben und Privatisierung von Staatsunternehmen mehr Wirtschaftswachstum bewirken - also letzlich weniger Staats mehr Reichtum bedeutet.

     

    Die Staatsparanoia einiger Amis waere dann nicht nur eine fuer uns Europaer seltsame Macke innerhalb des reichsten Landes der Erde, sondern womoeglich Teil der Ursache fuer diesen Titel. Denn staatliche Eingriffe in die Wirtschaft werden natuerlich schwerer, wenn es einen Haufen staatsparanoide Buerger gibt.

     

    Aber diese Frage unvoreingenommen anzugehen, traue ich eigentlich keinem Journalisten zu, weder bei der taz noch anderswo.

  • FK
    Florian Kren

    "Sicher, es klingt verrückt, dass ausgerechnet das reichste Land der Erde erst gut 60 Jahre nach allen anderen westlichen Industrienationen darangeht, zumindest fast all seinen BürgerInnen einen leidlich normalen Zugang zum Gesundheitssystem zu verschaffen. Noch unglaublicher scheint es, dass darüber ernsthaft ein erbitterter ideologischer Streit ausgetragen wird und ein Großteil der Bevölkerung tatsächlich glaubt, was die Republikaner an Lügen, wirren Behauptungen, Verleumdungen, Angstmache und schlichtem Irrsinn in die Welt gesetzt haben."

     

    " Ein in der Finanzkrise gewachsenes parteiübergreifendes Verständnis, dass staatliches Handeln nicht nur des Teufels ist? Woher denn. "

     

    Noch unglaublicher erscheint mir, dass einem politisch interessierten Menschen und das sind wohl taz Journalisten, eine einfache Frage nicht ins Auge springt:

     

    Wenn in den USA es so wie jetzt gerade sichtbar eine virulente Staatsparanoia gibt und die USA das reichste Land der Welt sind, besteht da vielleicht ein Zusammenhang?

     

    Vor allem da da immer wieder diese Oekonomen sind, von denen die taz wohl denkt, dass sie von der Industrie geschmiert sind, die behaupten, dass Deregulierung, Senkung der Staatsausgaben und Privatisierung von Staatsunternehmen mehr Wirtschaftswachstum bewirken - also letzlich weniger Staats mehr Reichtum bedeutet.

     

    Die Staatsparanoia einiger Amis waere dann nicht nur eine fuer uns Europaer seltsame Macke innerhalb des reichsten Landes der Erde, sondern womoeglich Teil der Ursache fuer diesen Titel. Denn staatliche Eingriffe in die Wirtschaft werden natuerlich schwerer, wenn es einen Haufen staatsparanoide Buerger gibt.

     

    Aber diese Frage unvoreingenommen anzugehen, traue ich eigentlich keinem Journalisten zu, weder bei der taz noch anderswo.

  • K
    Katev

    Gut formulierter Kommentar.

     

    Dazu muss gesagt werden, dass Obamas Hoffnung, mit den Konservativen und Neoliberalen eine gemeinsame Plattform aufbauen zu können, sowieso naiv und illusorisch war. Linksliberale scheuen den direkten Konflikt mit dem rechten Establishment, das gilt für Deutschland und Europa genauso. Es wäre interessant herauszufinden, warum das so ist. (Es liegt wohl daran, dass im institutionellen Bereich eine strukturelle Übermacht für konservative und marktradikale Strömungen besteht und Linksliberale ein stark ambivalentes Verhältnis zu egalitären Bewegungen haben). Immerhin hat Obama, als klar wurde, dass dieses wichtige Projekt auf der Kippe steht, sein ganzes Prestige in die Waagschale geworfen. Vielleicht wird er erkennen, dass es oft genug besser ist, nicht auf Beschwichtigung, sondern auf Kampf zu setzen.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Sehr gut auf den Punkt gebracht.