Kommentar Obama-Rede: Ein Abgesang
Die Rede zur Lage der Nation zeigt: Obama kann sein Versprechen nicht halten, den Politikbetrieb in Washington zu verändern. Er ist gescheitert.
K ämpferisch gab sich US-Präsident Barack Obama in seiner Rede zur Lage der Nation. Er werde nicht mehr darauf hoffen, dass der gespaltene Kongress irgendetwas auf die Reihe bringe, erklärte Obama, sondern per Verordnung regieren, wo immer das möglich sei.
Aber was so offensiv klingt, ist in Wirklichkeit ein Abgesang auf eines der größten Versprechen, mit denen Obama in den Wahlkampf 2008 gezogen war: Er wollte den Politbetrieb in Washington verändern, die Nation einen. Das Gegenteil ist der Fall – und auch wenn das nicht zuerst an Obama liegt, bedeutet es doch sein Scheitern. Seine Rede gibt davon Zeugnis.
Noch weiß niemand, in welchen Bereichen Obama wirklich im Alleingang agieren wird. Angekündigt hat er in den letzten Jahren viel, passiert ist wenig. Allein: Schon dafür, dass der Präsident den Versuch zu unternehmen scheint, nach dem verlorenen Jahr 2013 in seinen verbleibenden drei Amtsjahren noch etwas zu reißen, bekommt er Applaus. Echte Reformen ließen aber nur per Gesetz erreichen, sonst kann sie der nächste Präsident genauso einfach wieder beseitigen, wie Obama sie eingeführt hat.
Und so ist Obamas kämpferische Ankündigung eine Absage nicht nur seines Vorhabens der überparteilichen Zusammenarbeit, sondern auch seines Glaubens, noch irgendetwas Bedeutendes zustande bringen zu können, was über 2016 hinauswirkt.
Eine Ausnahme könnte die überfällige Migrationsreform sein. Die geht nur per Gesetz, und nach ihren Analysen der letzten Wahlen wissen auch die meisten Republikaner, dass sie es sich mit den Latino-WählerInnen nicht noch mehr verscherzen dürfen. Das ergibt Möglichkeiten für Kongressmehrheiten. Den 12 Millionen Papierlosen ist zu wünschen, dass Obamas Konfrontationskurs hier nicht kontraproduktiv wirkt.
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