Kommentar Nobelpreise: Die letzten lebenden Fachkräfte
Zwei Nobelpreise in zwei Tagen? Kein Grund für übertriebenen Jubel. Um den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland ist es trotzdem katastrophal bestellt.
Die Republik taumelte nicht gleich wie im Sommer vergangenen Jahres. Aber als gestern der zweite Wissenschaftsnobelpreis binnen zwei Tagen nach Deutschland ging, knüpften selbst Superseriöse gern ans Fußballmärchen an. "Schöner als die Fußball-WM 2006!" So freuten sich Forschungsmanager über den Physiknobelpreisträger Peter Grünberg und Gerhard Ertl, der den Chemienobelpreis erhielt. Und in der Politik gab es erste Versuche, beider Erfolge für die große deutsche Aufbruchstimmung zu benutzen.
Dabei wäre nichts blödsinniger, als jetzt ein Parteiengejubel über die Wissenschaft anzuzetteln. "Mein Aufschwung, meine WM, mein Nobelpreis" - das zählt nicht. Die betagten Forscher, die jetzt Nobelmillionen bekommen, haben ihre Entdeckungen vor 20, 30 Jahren gemacht. Mit aktueller Politik oder gar Forschungspolitik haben die Erkenntnisse von Ertl und Grünberg nichts zu tun - auch wenn in jüngster Zeit hektisch herumreformiert wird. Sowohl der Wettbewerb für Eliteuniversitäten als auch der gerade beschlossene Hochschulpakt für die Lehre sind viel zu jung, um in Stockholm etwas ausrichten zu können.
Vielmehr hat die Freude einen bitteren Beigeschmack. Ist es nicht so, dass das Nobelkomitee in Wahrheit die letzten lebenden Fachkräfte in Deutschland entdeckt hat? Wollte jemand bestreiten, dass derzeit über hunderttausend Ingenieure und Hochqualifizierte fehlen, etwa um klimaschonende Motoren zu entwickeln oder den Nutzen der Gentechnik verantwortungsvoll auszuloten? Es macht keinen Spaß, das zu sagen, aber die deutsche Qualifikationsbilanz sieht derzeit mies aus: Deutlich mehr Akademiker finden sich unter den über 45-Jährigen als bei den unter 35-Jährigen. Und aus den Schulen kommen - gemessen an den Pisa-Werten - mehr Bildungsverlierer als Spitzenschüler heraus. Leider.
Sorry, aber zwei Nobelpreisträger können nicht Bildungsreformen und Forschungsimpulse für heute und morgen ersetzen. Es wäre also falsch, sich selbstgefällig zurückzulehnen. Die neugierigen alten Herren sollten wir lieber als Ansporn begreifen - und den vielen kleinen und jungen Forschern von der Kita bis zur Uni beste Bedingungen schaffen.
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