Kommentar Neuwahl in Hessen: Hessens verlorenes Jahr
Die hessische SPD muss sich entscheiden: Neuwahlen mit oder ohne Andrea Ypsilanti? Ideologisch sollte sie sich aber auf keinen Fall abgrenzen.
D ie hessische SPD macht fünf Tage nach dem Aus für Rot-Rot-Grün einen verstörten Eindruck. Offenbar gab es sogar Genossen, die ernsthaft eine große Koalition mit Roland Koch anpeilten, nur um Neuwahlen zu verhindern.
Damit hätte die SPD ihr politisches Fiasko um ein moralisches komplettiert. Denn für eine Koalition mit Koch hätte es nur einen Grund gegeben: das Eigeninteresse des Apparates, die panische Angst, Macht und Mandate zu verlieren. Nun hat die SPD sich zu Neuwahlen durchgerungen - spät, aber immerhin. Als Kochs Juniorpartner hätte die SPD jede Glaubwürdigkeit verspielt und ihr monatelang wiederholtes Versprechen, einen wirklichen Politikwechsel zu wollen, gebrochen. Neuwahlen sind für die hessischen Genossen ungemütlich - aber sie sind der einzige Weg, um die Blockade in Wiesbaden aufzulösen.
Ist es klug, wenn die SPD nun wieder mit Andrea Ypsilanti in den Wahlkampf zieht? Zwar war das Verhalten der vier Abweichler mies - das ändert aber nichts daran, dass Ypsilanti politisch verantwortlich ist. Als Taktikerin ist sie komplett gescheitert. Doch ihre schwungvollen Konzepte, vor allem bei Bildung und Energie, sind keineswegs ad acta gelegt. Wenn die SPD diesen entschlossenen Reformkurs nun beerdigt, wird sie bei Neuwahlen in der Tat chancenlos sein.
Und es gibt einen praktischen Grund, der für Ypsilanti spricht. Es ist bis zur Wahl im Januar kaum möglich, etwa den Nordhessen Manfred Schaub als überzeugenden, scharf profilierten Gegenkandidaten zu Roland Koch aufzubauen. Ypsilanti hat Blessuren - noch schwerer wird es für die SPD mit einem Spitzenkandidaten, den kaum jemand kennt. Sicher ist, dass etwas anders sein wird bei diesen Wahlen. Keine Partei schließt Koalitionen mehr grundsätzlich aus: die SPD Rot-Rot-Grün nicht, die FDP die Ampel nicht. Die Parteien merken, dass ideologische Abgrenzungsbeschlüsse im Fünfparteiensystem nicht funktionieren. Hätten sie diese Klugheit schon 2007 gehabt, Hessen wäre dieses verlorene, wirre Jahr erspart geblieben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet