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Kommentar Neuwahl in GroßbritannienAufblühen haltloser Gerüchte

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Am Gemunkel über Neuwahlen ist nicht viel dran. Es ist eher zu erwarten, dass May und Corbyn gestärkt aus ihren Parteitagen hervorgehen.

Theresa May – einstige EU-Anhängerin – bringt den Brexit eher aus Pflichtbewusstsein voran Foto: dpa

H erbstzeit ist Parteitagszeit in Großbritannien, und das bedeutet traditionell ein Aufblühen haltloser Gerüchte. Nur so ist die aufgeregte Berichterstattung der größten britischen Qualitäts-Wochenzeitung Sunday Times über mögliche erneute vorgezogene Neuwahlen in Großbritannien im November zu verstehen. Der Bericht schnurrt bei näherem Hinsehen auf die Meldung zusammen, dass „ein hochrangiges Mitglied“ von Premierministerin Theresa Mays Team einen „anderen Tory-Strategen“ am Telefon gefragt haben soll, was er im November vorhabe, „weil ich glaube, dass wir neue Wahlen brauchen werden“.

Tatsächlich geht es jetzt in Großbritannien erst einmal um etwas anderes: das politische Überleben sowohl von May als auch von Labour-Chef Corbyn. Beide stehen aufsässigen Teilen ihrer eigenen Parteien gegenüber – nicht nur wegen des Brexits, aber hauptsächlich. Zusammengefasst wünschen sich die Unzufriedenen, dass Corbyn endlich mal klar gegen den Brexit sein sollte und May endlich mal klar dafür.

May – eine einstige EU-Anhängerin, die jetzt den Brexit mehr aus Pflichtbewusstsein denn aus Überzeugung voranbringt – hat mit ihrer kämpferischen Reaktion auf den EU-Gipfel vergangene Woche bereits Flagge gezeigt. Aber ihre Anhänger warten noch darauf, dass darauf kämpferische neue Konzepte folgen. Corbyn – ein alter EU-Gegner, der einer mehrheitlich EU-freundlichen Partei vorsteht – war noch nie ein Freund klarer Worte und wird nun über viele Schatten springen müssen.

Trotz allen politisch-medialen Getöses ist aber davon auszugehen, dass beide aus ihren Parteitagen gestärkt hervorgehen werden. Mangels überzeugender Alternativen. Denn eines ändert sich nicht: Großbritannien ist in Sachen EU fundamental unschlüssig, wie schon das Referendumsergebnis von 52 zu 48 Prozent für den Austritt bewies. May und Corbyn verkörpern beide diese Unschlüssigkeit in perfekter Vollendung.

Sie haben damit beide bei den Wahlen 2017 große Zugewinne für ihre jeweiligen Parteien erzielt, sie setzen sich in den Umfragen seitdem nicht voneinander ab – und gerade weil sie nicht festzunageln sind, sind sie die richtigen Führungsfiguren zur richtigen Zeit. Und genauso uneindeutig, wie May und Corbyn Politik machen, wird Großbritannien in gut einem halben Jahr die EU verlassen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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3 Kommentare

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  • "Sie haben damit beide bei den Wahlen 2017 große Zugewinne für ihre jeweiligen Parteien erzielt"

    Ich dachte bisher immer, dass May in diesen von ihr ohne Not angesetzten Wahlen die absolute Mehrheit ihrer Partei verspielt und somit eine krachende politische Niederlage erlitten hat.

    was die Führung von Labour anlangt ist Jeremy zwar eine politisches Fossil aber ein lernfähiges. Der Druck der vielen neuen Mitglieder in der Partei, die brutale Macht der wirtschaftlichen Fakten und die relative, strukturell bedingte Unbeweglichkeit der EU lassen eigentlich nur den Ausweg eines 2. Referendums zu. Stimmen die Briten dann noch mal für den Brexit müssen alle Beteiligten die Konsequenzen tragen. Setzt sich Remain durch müssen wir den Briten dankbar sein, denn wir haben gelernt wie wichtig die EU ist. Sie muß dringend demokratisch reformiert werden, ist aber auch jetzt schon für das relative wohlergehen der Menschen in den Mitgliedstaaten unverzichtbar.

    • @Thomas Dreher:

      Die Konservativen von Theresa May haben zwar 13 Sitze verloren, hat aber insgesamt 5,5% an Stimmen hinzu gewonnen.

      Das liegt am britischen Mehrheitswahlrecht, die schottischen Nationalisten haben nur 1,7% ihrer Stimmen verloren, aber 21 ihrer vormals 56 Sitze.

      • @Sven Günther:

        Danke für die Aufklärung,



        ich habe bei Berichten über Wahlen zum Unterhaus immer nur auf die Sitze und nie auf die % geschaut