Kommentar Neues Wahlsystem: Italien wählt jetzt deutsch

Das Parlament in Rom gibt sich ein an Deutschland angelehntes Wahlsystems. Mehr Stabilität nach den Neuwahlen wird das nicht bringen.

Matteo Renzi lacht

Verkündete die Einigung auf ein neues Wahlrecht: Italiens früherer Ministerpräsident Matteo Renzi Foto: dpa

„Tedesco“, „deutsch“: Das klingt für Italiener nicht unbedingt besonders sympathisch, auf jeden Fall aber nach solide, stabil, funktionsfähig. Da wundert es nicht, dass alle relevanten Parteien jetzt zu dem Kompromiss fanden, dem Land ein „deutsches Wahlrecht“ zu bescheren.

Schon diese Tatsache – der breite Konsens der politischen Lager – ist eine gute Nachricht: Alle Wahlrechtsdebatten und -reformen in Italien waren über Jahre hinweg vergiftet, weil in ihnen die echten oder vermeintlichen Versuche der Protagonisten, den jeweiligen Gegner zu übervorteilen, im Mittelpunkt standen.

Wenigstens in diesem Punkt ist Italien jetzt ein Stück weiter; die Parteien werden ihren Wettstreit nach von allen akzeptierten Spielregeln austragen. Weit zweifelhafter jedoch ist es, ob das Stabilitätsversprechen, das mit dem „deutschen“ System einhergeht, wirklich trägt. Schon in Deutschland selbst sind die Zeiten, in denen die alten politischen Lager – sei es Schwarz-Gelb, sei es Rot-Grün – selbstverständlich Mehrheiten erwarten durften, erst einmal vorbei.

Erst recht in Italien geht nach den nächsten Wahlen mit Proporz wohl bestenfalls eine Große Koalition. Die aber sähe an der Seite der gemäßigt linken Partito Democratico niemand anderen als Silvio Berlusconi. Möglich ist aber auch, dass selbst ein solch „breites“ Bündnis numerisch einfach zu schmal bliebe. Die Protestbewegung der Fünf Sterne mit ihren erwartbaren 30 Prozent, die rechtspopulistische Lega Nord mit um die 12, dazu eine radikale Linke mit 6 bis 8 Prozent: Stabilität wird nach den Neuwahlen in Rom nicht einkehren.

Gewiss, das in Europa gepflegte Schreckensszenario von einer Fünf-Sterne-Regierung erscheint mit dem Proporzwahlrecht vorerst in weite Ferne gerückt. In weite Ferne gerückt ist jedoch auch die Chance, dass Italien eine Regierung bekommt, die zu Hause über die nötige Autorität verfügt, um in Europa eine wichtige Stimme zu sein.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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