Kommentar Minijobberinnen: Sackgasse Hinzuverdienst
Die Entwicklung in der Dienstleistung steht dem neuen Unterhaltsrecht entgegen und umgekehrt. Wir brauchen eine integrative Gesetzgebung, die solche Widersprüche im Auge behält.
Die Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen ist nur der neueste Beweis dafür, dass irgendetwas ziemlich falsch läuft mit den Identitätsentwürfen, die heute für Frauen verhandelt werden. Frauen geraten in widersprüchliche Strömungen der Gesetzgebung, die sie schnell doppelt zum Opfer machen. Der Einzelhandel ist dafür ein Beispiel.
Im Handel gilt die von vielen neoliberalen Verfechtern propagierte "Freiheit des Marktes", die Arbeitsstrukturen wurden zunehmend flexibilisiert. Vollzeitjobs schwinden, stattdessen gibt es mehr Teilzeittätigkeiten und Minijobs. Der Handel entwickelt sich daher zu einer Branche, in der am besten Frauen arbeiten können, die über einen Mann krankenversichert sind, also eine Hinzuverdienerrolle ausüben. Der Gesetzgeber, der die sozialversicherungsfreien Minijobs einführte - eine deutsche Besonderheit übrigens - hat dies befördert. Und die Arbeitgeber sparen damit Sozialbeiträge. Den Geschäftsführern kommt auch zupass, dass sich selbst gut ausgebildete Frauen im Handel lieber nur als Verkäuferin bezahlen lassen und keine Marktleiterposition einnehmen, weil sie auch aus familiären Gründen die damit verbundenen Überstunden scheuen.
Die Flexibilisierung in der Wirtschaft führt solcherart zum Rückschritt in der Verteilung der Geschlechterrollen. Denn sie steht im Widerspruch zu den Neuerungen im Eherecht. Dieses fordert von den Frauen wirtschaftliche Eigenständigkeit, nicht nur den Hinzuverdienerpart. Zumal die Kindererziehungsphase begrenzt ist und Ehen oft nicht haltbar sind. Die Entwicklung in der Dienstleistung steht dem neuen Unterhaltsrecht entgegen und umgekehrt. Wir brauchen künftig eine integrative Gesetzgebung, die solche Widersprüche im Auge behält. Anders gesagt: Die Minijobs haben keine Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU delegitimiert NGOs
Rechter Kulturkampf der Merz-Lauchs
551 Fragen im Bundestag
Union attackiert Zivilgesellschaft
Lockerung der Schuldenbremse
Bitte jetzt mal eine große Koalition der Vernunft
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Wahlergebnis in Westdeutschland
Hier liegt die AfD vor allen anderen
Grüne nach der Wahl
Fünf sind eine zu viel