Kommentar Mindestlohn für Praktikanten: Bornierte Sozialdemokraten
Arbeitsministerin Andrea Nahles fehlt das Verständnis für Patchwork-Biografien. Damit ist sie in der SPD bei weitem nicht allein.
W enn sich Sozialdemokraten an eine Reform des Arbeitsmarktes machen, sollten Menschen mit Brüchen im Lebenslauf in Deckung gehen. Und zwar unabhängig davon, ob die SPD programmatisch gerade zu mehr Sozialstaat oder mehr Wirtschaftsliberalismus neigt.
Das war 1999 so, als Walter Riesters Gesetz zur Eindämmung der Scheinselbständigkeit Tausende Prekäre auf die Arbeits- und Sozialämter zu treiben drohte. Das war mit Hartz IV so, als selbst arbeitslose Akademiker zu sinnlosen Ein-Euro-Jobs verpflichtet wurden, die ihren Lebenslauf weiter beschädigten. Und das ist mit dem Praktikantenparagraf im Mindestlohngesetz nicht anders.
Dabei ist es richtig, dass sich die Bundesregierung des Praktikantenunwesens annimmt. Aber die Regelung, nach der Praktikanten, die sich noch in einer Ausbildung befinden, keinen Mindestlohn erhalten müssen, alle anderen aber schon, ist falsch. Sie wird alle, die nach ihrem Studium nicht sofort einen Arbeitsplatz finden, ebenso aufs Jobcenter befördern wie Studienabbrecher und Menschen, die einen beruflichen Neuanfang wagen.
Dort aber drohen ihnen sinnlose Jobs auf dem zweiten Arbeitsmarkt und Weiterbildungen, die ihren Anbietern mehr helfen als den Teilnehmern. Sie sind in Zukunft auf das Wohlwollen der Sachbearbeiter angewiesen, ihnen solche Maßnahmen zu ersparen.
Ironischer Nebeneffekt der Neuregelung: Ausgerechnet die Kinder der Ober- und Mittelschicht werden davon profitieren, weil sie nicht mit Anpassungsproblemen beim sozialen Aufstieg kämpfen müssen. Ihre Konkurrenz sitzt künftig vermehrt in Bewerbungskursen, statt in Praktika Kontakte zu knüpfen. Ermöglicht hat dies: Arbeitsministerin Andrea Nahles. Ihr fehlt wie vielen SPDlern noch immer ein Verständnis für die Realität von Patchwork-Biografien.
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