piwik no script img

Kommentar Merkels Polen-BesuchPolnische Scheinreformpläne

Kommentar von Gabriele Lesser

Polen bietet Hilfe an, die EU zu reformieren. Im Detail aber zielen die polnischen Vorschläge auf einen Rückbau der Union.

Frostig geht es zu zwischen Beata Szydlo und Angela Merkel Foto: dpa

P olen will helfen, die EU aus der Krise zu führen. Das ist im Prinzip eine gute Nachricht. Je mehr Politiker in den Mitgliedsländern sich Gedanken darüber machen, wie die EU wieder zu einem großen gemeinsamen Projekt aller Europäer werden kann, desto besser die Chancen, es tatsächlich zu schaffen. Polens Ministeppräsidentin Beata Szydlo schlägt vor, insbesondere jenen EU-Bürgern genauer zuzuhören, die unzufrieden mit der EU sind. Die EU in ihrer heutigen Gestalt sei dazu nicht in der Lage, warnt sie. Es drohe nach dem Brexit der Zerfall der EU.

Am Dienstag versuchten polnische Spitzenpolitiker die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von ihren EU-Reformplänen zu überzeugen. Merkel war eigens nach Warschau gekommen, um mit den Polen über die Zukunft Europas zu diskutieren. Doch im Grunde genommen wollen die Politiker der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) lediglich einen massiven Rückbau der EU durchsetzen.

Alles soll auf den Prüfstand. Der Vertrag von Lissabon soll neu verhandelt werden, die Rolle des Europäischen Parlaments geschwächt, EU-Institutionen sollen entmachtet, Reformen rückgängig gemacht werden. Die polnische Regierung strebt ein Europa der Nationalstaaten an.

Noch 2015 hatte Polens neuer Außenminister Waszczykowski Großbritannien zum neuen „strategischen Partner Polens in der EU“ gekürt – anstelle von Deutschland von Frankreich, mit denen Polen seit Jahren das „Weimarer Dreieck“ bildet. Ziel der Hinwendung zu den Briten war, die zunächst erfolgreich wirkende Rosinenpickerei der Briten zu übernehmen. Dazu war und ist Polen bereit, sogar das Subsidiaritätsprinzip in der EU zu opfern – bis auf einen Punkt: die Milliarden, die Polen als größter Nettoempfänger seit Jahren aus der EU-Kasse erhält, sollen weiter fließen.

Statt nun aber Reformvorschläge zu machen, die die Sorgen der Menschen in den EU-Nettozahler-Ländern Frankreich, den Niederlanden und auch Deutschland berücksichtigen, brechen die PiS-Politiker nicht nur im eigenen Land das Rechtsstaatsprinzip, sondern auch das von der Vorgängerregierung Polens mit Brüssel ausgehandelte Abkommen zur Übernahme von 7.000 Flüchtlingen.

Offensichtlich gehen sie davon aus, dass dies von den anderen EU-Mitgliedern als vorweggenommene „Reformen“ hingenommen wird. Doch sobald jedes EU-Mitglied nach eigenem Gutdünken entscheiden kann, wann Verträge zum eigenen Nutzen gebrochen werdenkönnen, ist das das Ende der EU. Da erübrigt sich dann jede Reform.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Auslandskorrespondentin Polen
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • "Alles soll auf den Prüfstand. Der Vertrag von Lissabon soll neu verhandelt werden, die Rolle des Europäischen Parlaments geschwächt, EU-Institutionen sollen entmachtet, Reformen rückgängig gemacht werden. Die polnische Regierung strebt ein Europa der Nationalstaaten an."

    Wenn diese "Institutionen" eine gescheiterte Politik der Entmachtung der Bürger betreiben, wenn die "Reformen" die EU in die Sackgasse getrieben haben, wieso sollten sie nicht rücksichtslos geprüft werden?

    Weil nichts richtig sein kann, was aus Polen kommt?

  • "Statt nun aber Reformvorschläge zu machen, die die Sorgen der Menschen in den EU-Nettozahler-Ländern Frankreich, den Niederlanden und auch Deutschland berücksichtigen, ..."

     

    von was wird denn sonst noch so geträumt......

     

    Jedes EU Land sucht für sich die richtige Strategie - Deutschland nimmt ja auch nicht soviel Rücksicht auf andere Länder.

  • Diese Einheitlichkeit ist wohl doch noch den realen - Nachwirkungen des Realen Sozialismus geschuldet - wa!

     

    kurz - Von keinem der Abgebildeten - würde frauman -Freiwillig einen Gebrauchtwagen kaufen.

    Nej tack.

    • @Lowandorder:

      DDR reloaded 3.

  • Herr Kaczinsky ist der Meinung, man solle über eine EU-Atomkraft-Region nachdenken.

    Ich bin der Meinung, man solle dem Herrn, der im Hintergrund die Strippen zieht, alles Gute wünschen ...

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    "Dazu war und ist Polen bereit, sogar das Subsidiaritätsprinzip in der EU zu opfern – bis auf einen Punkt: die Milliarden, die Polen als größter Nettoempfänger seit Jahren aus der EU-Kasse erhält, sollen weiter fließen."

     

    Die EU ist ein Zusammenschluss gleichrangiger, souveräner Staaten. Jedes Mitglied hat das gleiche Recht auf eigene Standpunkte, Meinungen und Gestaltungsvorschläge, völlig unabhängig ob Nettozahler oder Leistungsempfänger. Dieses ständige Gepoche darauf, dass Polen ja Geld erhalte nervt langsam und ist einfach heuchlerisch. Schließlich profitieren Nettozahler wie Deutschland auch im Gegenzug vom Export in den polnischen EU-Binnenmarkt. Es handelt sich also ganz klar um gegenseitige Abhängigkeiten und Nutzen für alle Seiten.

     

    Was die Solidarität betrifft: Es war Deutschland das mit seiner einseitigen, unkontrollierten Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge geltende europäische und internationale Verträge gebrochen und somit die EU-Solidarität ab-absurdum geführt hat.

     

    Und eines noch: Im Gegensatz zu Großbritannien hat Polen die EU niemals einfach blockiert und sabbotiert sondern stets konstruktive Gestaltungsvorschläge unterbreitet. Nur hat es Deuschland nie gepasst, wenn Polen als gleichwertiger Partner auf Augehöhe aufgetreten ist und somit die meisten Vorschläge aus Prinzip abgeblockt!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Statt nun aber Reformvorschläge zu machen, die die Sorgen der Menschen in den EU-Nettozahler-Ländern Frankreich, den Niederlanden und auch Deutschland berücksichtigen..."

     

    Will Frau Lesser jetzt mit der Geldkarte auftrumpfen? Hat schon bei den Griechen von anderer Seite hervorragend funktioniert.

     

    Deutschland war eigentlich die treibende Kraft hinter der Osterweiterung. Man kann sich auch denken warum (https://owc.de/2016/04/11/polen-handel-mit-deutschland-erneut-auf-rekordniveau/). Die Franzosen wollten damals auch die Einbindung der Maghreb-Staaten erreichen. Ohne Erfolg.

     

    Was die Sorgen der "Menschen in den EU-Nettozahler-Ländern" betrifft: GB ist weg, Frankreich hat eine heikle Wahl vor sich und PVV liegt in den Niederlanden vorne.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Und wir haben nen Kanzelkandidaten (naja Erlöser trifft es eher) der - zumindest bisher - nicht schnell genug den Geldbeutel für die anderen aufmachen konnte.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @Thomas_Ba_Wü:

        Zwischen 1990 und 2004 wuchs der BIP/Kopf um ca. 20% (real).

        Dann zwischen 2004 und 2014 (trotz der Krise) etwa nochmals um 20%.

         

        Und sie meinen Deutschland würde eigenen Wohlstand in Europa verteilen? Tut es schon aber eher untereinander, denn die meisten dürften von den 40% Zuwachs nicht viel gesehen haben.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Bei aller gerechtertigten Kritik an der PiS, man sollte nicht alle Vorschläge für die EU verteufeln, nur weil diese aus Polen kommen.

     

    "Der Vertrag von Lissabon soll neu verhandelt werden"

    Das bereits 2007 vorgeschlagene Quadratwurzeln-System hätte die EU im Gesamten wesentlich demokratischer gemacht. In Anbetracht der jüngsten EU-Krise besteht hier tatsächlich Reformbedarf.

     

    "die Rolle des Europäischen Parlaments geschwächt"

    Wenn es tatsächlich geschwächt werden soll, wäre das tatsächlich schlecht. Hier wäre eine Reform im Sinne von mehr demokratischer Legitimation wäre der richtige Weg.

     

    "EU-Institutionen sollen entmachtet,"

    Kommt darauf an auf welche Institutionen abgezielt werden. Manche sind notwendig. Auf manche kann aber auch sicher verzichtet werden.

     

    "Reformen rückgängig gemacht werden."

    Kommt auch hier drauf an, welche rückgängig gemacht werden. Es gibt sich er unsinnige und sinnlose Reformen auf die wir Europäer durchaus verzichten können.

     

    "Die polnische Regierung strebt ein Europa der Nationalstaaten an."

     

    Das ist noch lange kein Rückbau der EU sondern lediglich eine Vision der EU die die mitteleuropäischen Staaten wie Polen von Anfang an hatten. Europa als Konföderation der Nationalstaaten in der die Nationalstaaten ihre klare Souveränität behalten und die Zuständigkeiten zwischen Staaten und EU endlich klar definiert sind ist prinzipiell zu begrüßen.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @4845 (Profil gelöscht):

      Darum geht's gar nicht. Der mediale Länder-Ranking richtet sich mittlerweile nach dem neoliberalen Glaubenskredo: wie stehst du zu einer Gesellschaft, die den Freihandel ehrt und soziale Sicherheit mit gesselschaftlichen Freiheiten substituiert.

      Tanzt man aus der Reihe, wird's ungemütlich (siehe Rumänien).

       

      Gut erklärte Zusammenhänge: https://www.youtube.com/watch?v=eMngIbm1OBE

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Danke für den Link zu Mark Blyth, der immer wieder lesens- und hörenswert ist.

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Das Umgekehrte hatten wir auch schon mal: soziale Sicherheit (zumindest, was man damals darunter verstanden hat) substituiert gesellschaftliche Freiheiten. Wurde für die betroffenen Länder ungemütlich, wenn sie aus der Reihe tanzten (siehe Prager Frühling oder polnisches Kriegsrecht) und ging für die Herrschenden nicht gut aus (siehe 1989).

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @Hans aus Jena:

          Um es zu klären: ich begreife nicht die gesellschaftliche Liberalität und soziale Sicherheit als eine trade-off Beziehung.

          Natürlich, geht es beides.

           

          In meinem Link erklärt allerdings Prof. Mark Blyth (Schotte, sozial, Demokrat) wie wunderbar die Idee des gesellschaftlichen Liberalismus für neoliberale ökonomische Entwicklung eingespannt wurde. Es ist was anderes als die holzgeschnitzte Propaganda solcher Lobbygruppen wie z.B INSM. Es ist viel feiner, viel durchdringender und deswegen auch viel gefährlicher.