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Kommentar Merkels Euro-DilemmaNichts mehr zum Aussitzen

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Schwarz-Gelb ist weit weg von einer gemeinsamen, inhaltlichen Linie in der Eurokrise. Und die Kanzlerin kann die Überforderung ihrer Koalitionspartner kaum noch managen.

O bwohl Kanzlerin Angela Merkel mit der Rüge an Philipp Rösler ein seltenes Machtwort gesprochen hat, eskalieren ihre Koalitionspartner den Streit um eine Staatsinsolvenz weiter: Die FDP schart sich um ihren gedemütigten Parteivorsitzenden, und die CSU - das gerät bei all der Aufregung um Rösler fast in Vergessenheit - hat Pleiteszenarien zur offiziellen Beschlusslage erhoben.

Von einer gemeinsamen, inhaltlichen Linie kann endgültig keine Rede mehr sein, und auch öffentliche Brüskierungen sind kein Tabu mehr. Die psychologische Zerrüttung der Koalition ist also weit fortgeschritten. Und klar ist: Die äußeren Umstände werden diese weiter vorantreiben. Denn die echten Prüfungen stehen Schwarz-Gelb noch bevor - ein vielleicht negatives Urteil der Troika über Griechenland, die Basisrebellion auf den Parteitagen im November, die Entscheidung über den permanenten Rettungsschirm im Dezember.

In dieser Dramaturgie ist nicht mehr undenkbar, dass die Kanzlerin der eigenen Koalition irgendwann die Vertrauensfrage stellen muss. Nicht weil Merkel selbst von der Krise überfordert wäre - sondern weil sie die Überforderung ihrer Partner nicht mehr managen kann. Ihre Strategie des Machterhalts beruhte immer darauf, Konflikte auszusitzen und Kritiker sich gegenseitig neutralisieren zu lassen. Diese Taktik stößt in der Eurokrise an ihrer Grenzen.

Bild: anja weber
Ulrich Schulte

ist Leiter des Berliner Parlamentsbüros der taz.

Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob die Koalition hält oder nicht. Der Schaden, den das Land und Europa durch die schwarz-gelbe Orientierungslosigkeit nehmen, ist enorm. Andere Regierungen und internationale Medien fragen sich im Moment, wie Deutschland eine europäische Führungsrolle füllen will, wenn sich nicht mal die Bundesregierung einig ist. Sie stellen diese Frage zu Recht.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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4 Kommentare

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  • T
    tabularasa

    Was ist die Alternative? SPD/Grün? Bei denen wäre das alles schon jubelnd aber still und vehement unterm Teppich über die Bühne gegangen und der ESM unterschrieben. Gegen das Volk (wie Gabriel Merkel anbot).

  • K
    Kalle

    Jaja, Merkels Ende ist mal wieder nahe... *gähn

  • A
    aus--sitzen

    Das ist doch abgekartert damit die FDP mal wieder gewählt wird.

    1000seitige Koalitionsverträge sollte niemand mehr akzeptieren. Das Parlament macht Gesetze und das sollte unabhängig von Koalition sein und diese "Verträge" sollten nur 2-3 Seiten inclusive Pöstchenverteilung enthalten.

     

    Es ist doch klar, das Insolvenz, EU-Versager-Halbflaggen, Transaktionssteuer usw. nur Populismus zum aussitzen und Wählerfang sind. Der Kommentar geht ja auch in diese Richtung.

    Wenn ich Presserechte hätte, würde ich einen nach dem anderen Berlin-FDPler bei Youtube interviewen (Interviewne und bei YouTube hochladen ist natürlich gemeint) und mal durchfragen wie die Haltung zur Insolvenz ist. Dann hat die FDP bei der Berlinwahl genau die Stimmen die sie verdient.

    Die Mitläufer-Jubel-Presse verzichtet leider auf sowas.

  • S
    seeteddy

    Was heißt denn hier Orientierungslosigkeit? - Erst kauft die EZB Kredite von den Großanlegern ab - und jetzt, nachdem das erledigt ist, kann der Rest und die Steuerzahler löhnen - mit einer "geordneten" Insolvenz. Das ist nicht orientierungslos, das ist wirklich clever - vor allem, das dem Volk als Politik zu verkaufen... Man sieht's ja, es funktioniert!