Kommentar Merkel und WM: Auslaufmodell auf der Tribüne
Auf dem Fußballfeld in Kapstadt sah man die Definition eines Modells der Zukunft. Die Gäste Merkel und Ballack hingegen verkörperten das alte Prinzip - neben dem Platz.
D ie Zukunft war auf dem Rasen zu bestaunen, die Vergangenheit erkannten wir auf der Tribüne. Zunächst sahen wir die Kanzlerin, die sich wie eine aus der Depression erwachte Manische über das Treiben auf dem sportlichen Feld freute. Und dann war da auch noch Michael Ballack, der wegen Verletzung am Turnier nicht teilnehmen kann. Beide verkörperten das alte Prinzip. Ballack, der Leitwolf, der zu Machtworten neigt, ein Freund klarer Hierarchien - ein Fußballsoldat, kein Inspirator mit Coolness.
Merkel war die kongeniale Tribünenergänzung - sie und ihre Regierung, die in Umfragen bislang mit keinem Zehntelprozent von der guten, ja irritierend mitreißenden Stimmung im Lande profitieren konnten. Die womöglich weiß, dass ihre Regierung diese produktive, zukunftsorientierte Atmosphäre niemals wird repräsentieren können. Nicht weil ihre Politik schlecht inszeniert ist, sondern weil es die falsche Politik ist. Eine, die Chaos verströmt und deshalb nach Machtworten verlangt. Die Wählerschaft weiß präzise zu unterscheiden zwischen ergreifenden Fußballperformances und einer Regierung, die mehr spaltet als moderiert und kein Angebot für eine integrierende Zukunft unterbreitet.
Auf dem Platz in Kapstadt sah man eine - hier nur fußballerische - Definition dessen, was ein Zukunftsmodell sein kann: junge Spielende, die selbst Verantwortung übernehmen müssen, weil die Leitwölfe gerade unpässlich sind. Die buchstäblich jeden Weg auf dem Rasen gehen, um ihre Teamkollegen zu unterstützen. Der Star ist die Mannschaft selbst, nicht eine befehlsstrukturierte Einzelkönnerschaft.
Jan Feddersen ist Redakteur der taz und leitet den WM-Schwerpunkt.
Und die Regierung? Ein Konglomerat aus genervter Matronenpseudoheiterkeit der Kanzlerin und Beachvolleyhaftigkeit ihrer neoliberalen Alliierten. Beide ein Auslaufmodell - weder willens noch begabt, politische Prozesse anzuregen, die nicht sofort berechtigte wütende Proteste provozieren. Sie stehen für das Gestern, für das Beharren auf einem gesellschaftlichen Modell, das sich nicht auf Gemeinsinn, sondern auf Kampf und Ausgrenzung konzentriert.
Michael Ballack wird nicht mehr gebraucht, die Jungen können es, hin und wieder leicht verunsicherbar, bestens ohne ihn. Merkel sollte ihre Ausflüge nach Südafrika genießen. Es sind Abschiedsexkursionen. Sie hat - wie die von ihrer repräsentierte Politik - ihre Zukunft ersichtlich hinter sich.
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