piwik no script img

Kommentar MenschenrechteWer Macht hat, foltert auch

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die Arbeit von Gruppen wie Amnesty International ist notwendiger denn je. Doch nur beim Anprangern von Missständen darf es nicht bleiben.

Mexiko Stadt: Soldaritätsaktion für Inhaftierte in Saudi Arabien. Bild: reuters

E s wird wohl niemals einen Amnesty-Jahresbericht geben, aus dem allgemeine Zufriedenheit über die Lage der Menschenrechte weltweit spricht. Aber so frustriert, ernüchtert, ja ohnmächtig wie bei der Vorstellung des diesjährigen Berichts klingt selbst Amnesty selten.

Amnesty konstatiert ein grandioses Versagen der internationalen Gemeinschaft bei der Aufgabe, das Leid von Millionen von Menschen durch bewaffnete Konflikte und Unterdrückung durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure zu lindern.

Dass die Organisation damit recht hat, ist unbestreitbar. Nur: Auch Amnesty kommt über das Anprangern dieses „Und die Welt schaut weg“-Phänomens nicht wirklich hinaus.

Amnesty fordert etwa, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen konsequent zur Verantwortung zu ziehen – wer das aber in den aktuellen Konflikten von Syrien bis Ostukraine tun sollte und welche politischen Konsequenzen das hätte, bleibt unerwähnt.

Jahrzehntelang haben Amnesty und andere Menschenrechtsorganisationen für die Verrechtlichung internationaler Konflikte gestritten und dabei riesige Erfolge erzielt. Anti-Folter-Konvention, Internationaler Strafgerichtshof, Anti-Minen-Konvention, das internationale Abkommen über den Waffenhandel, das 2013 verabschiedet wurde – all das sollten Meilensteine auf dem Weg zu einer Welt mit immer weniger Menschenrechtsverletzungen sein.

Stattdessen erleben wir das Gegenteil. Internationale Normen zu verletzen bedeutet überhaupt kein Problem mehr, wenn die Täter oder ihre Verbündeten nur mächtig genug sind – ob es sich nun um die USA oder um Russland, China oder Saudi-Arabien handelt.

Die Wirklichkeit zeigt die Grenzen von Menschenrechtsarbeit auf, womöglich muss über neue Strategien nachgedacht werden. Unstrittig ist: Die Arbeit von Amnesty und anderen ist notwendiger denn je.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
Mehr zum Thema

0 Kommentare