Kommentar Mafiaprozess Italien: Der verhörte Präsident
Hat es Anfang der Neunzigerjahre Verhandlungen zwischen Staat und Mafia gegeben, um das Morden zu beenden? Italiens Präsident sagte als Zeuge aus.
I n einer Republik ist auch der Staatspräsident vor allem eines: Bürger, eben der erste Bürger des Staates. In Italien aber tat das Gros der Medien so, als sei diese Sicht keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Skandal.
Dass die Staatsanwälte aus Palermo darauf bestanden, Präsident Giorgio Napolitano in einem Mafiaprozess als Zeuge anzuhören, galt ihnen als Anschlag auf Würde und Amt.
Am Dienstag nun sagte Napolitano endlich aus, in seinem Amtssitz – eben nur dieses eine Privileg räumt ihm die Verfassung ein. Er hatte Interessantes mitzuteilen.
In dem Prozess – gegen den früheren Chef der Cosa Nostra Totò Riina ebenso wie gegen hohe Carabinieri-Offiziere – geht es um den Verdacht, unter dem Druck von Richtermorden und Bombenattentaten seien führende italienische Regierungspolitiker in den Jahren 1992/93 in regelrechte Verhandlungen mit der Mafia eingetreten.
Den Staat erpressen
Im Vorfeld seiner Aussage hatte Napolitano immer geltend gemacht, er könne zur Aufklärung nichts beitragen – und lieferte so alle jenen Stoff, die den Palermitaner Staatsanwälten vorwarfen, sie wollten den hohen Zeugen ohne Not in eine schmutzige Geschichte hineinziehen.
Auf seine Weise rückte nun Napolitano selbst dieses Bild zurecht. Von regelrechten „Verhandlungen“ zwischen Staat und Mafia wisse er nichts, erklärte er.
Aber ihm – seinerzeit Präsident des Abgeordnetenhauses – sei von vornherein klar gewesen, dass auch die blutigen Anschläge von 1993 in Rom, Mailand und Florenz aufs Konto der Cosa Nostra gingen, dass sie darauf zielten, den Staat zu erpressen.
Napolitano hat so Mosaiksteine zur Aufklärung eines der düstersten Kapitel der jüngeren italienischen Geschichte beigetragen. Und stillschweigend hat er auch den Mythos aus dem Weg geräumt, die Vernehmung eines Präsidenten in einem Mafiaprozess sei Majestätsbeleidigung.
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