Kommentar Lohnkosten: Lohnverzicht bringt nichts

Arbeit immer billiger machen, damit sie endlich nachgefragt wird - das funktioniert nicht. Vollbeschäftigung gibt es gerade da, wo die Lohnkosten hoch sind.

Für die Arbeitslosigkeit in Deutschland gibt es ein beliebtes Patentrezept: Wir brauchen einen Niedriglohnsektor. Gerade bei den Dienstleistungen seien die deutschen Gehälter viel zu hoch. Es wäre also kein Wunder, dass die Deutschen ihre Schuhe lieber selber putzten, statt einem Geringqualifizierten die Chance zu geben, durchs Polieren ein paar Cents zu verdienen. Wir sollten uns doch ein Beispiel an Großbritannien nehmen, diesem Wunderland der billigen Dienstbarkeit.

Diese schlichte Sicht auf den Arbeitsmarkt wurde nun gestern durch die Empirie gestört. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat die Lohnkosten bei den Dienstleistungen europaweit verglichen - und Deutschland liegt weit hinten auf Platz 10. Nur in Ost- und Südeuropa ist es günstiger, sich bedienen zu lassen. An den hohen Löhnen kann es also nicht liegen, wenn die deutsche Dienstleistungsbranche darbt. Anders formuliert: Wir brauchen keinen Niedriglohnsektor, wir haben ihn schon.

Diese Botschaft ist wichtig - besonders für die Bundesregierung, die schon wieder Kombilöhne für gering Qualifizierte plant. Billige Arbeit soll noch billiger werden, damit sie endlich nachgefragt wird. Das wird nichts. Der Effekt wäre rein statistisch: Wahrscheinlich würden wir dann sogar noch die Lohnkosten in Italien unterbieten. Aber komisch, auch dort ist die Arbeitslosigkeit hoch.

Die Bundesregierung agiert, als würde der Arbeitsmarkt wie ein Gemüsemarkt funktionieren. Wenn die Kartoffeln nicht verkäuflich sind, dann wird der Preis eben so lange gesenkt, bis auch die letzte Kartoffel verramscht ist. Aber dieser Ansatz übersieht, dass Löhne eben nicht nur Kosten sind - sondern auch Nachfrage. Daher ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass ausgerechnet jene Länder Vollbeschäftigung melden, die auch bei den Lohnkosten an einsamer Spitze stehen: Schweden und Dänemark.

Lohnverzicht bringt nichts. Das ist doch eine schöne Nachricht für eine Bundesregierung, die gerade an den Programmen für die Wiederwahl feilt. Besonders das SPD-Trio Platzeck, Steinbrück und Steinmeier sollte über seinen Gestus der sozialen Härte nachdenken. ULRIKE HERRMANN

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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