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Kommentar LinksparteiFortschritt in Zeitlupe

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Ganz langsam bewegt sich jetzt auch die Linkspartei in Richtung Realpolitik. Doch noch immer gilt: Gysi für die Realos und Wagenknecht für die radikale Pose.

Polarisiert auch die Mitglieder in der Linkspartei: Sahra Wagenknecht Bild: dpa

D ie Linkspartei bewegt sich ganz, ganz langsam in Richtung Realpolitik. Aus dem Programm ist, nach viel Aufregung, die gröbste Schwarz-Weiß-Malerei herausretuschiert worden. Um Worte wird in der Partei stets gerungen, als würde das Schicksal der Welt davon abhängen.

Die Hartwährung aber sind die Personen. Und da ist mehr oder weniger alles beim Alten: Die Ostpragmatiker haben in Hamburg nicht getan, was sie hätten tun können: sich komplett gegen die Westlinke durchzusetzen.

Das ist nicht so verwunderlich, wie es scheint. Lieber auf Konsens als auf Dissens zu setzen ist ziemlich normal in der Partei. Das ist kein Relikt erlernter Parteidisziplin oder von Kadermentalität. Die ausgeprägte Neigung zum Kompromiss ist Ausfluss einer scheinbar paradoxen Logik: Was die Partei eint, ist ihre Differenz.

Die Linkspartei ist eine ziemlich bunte, heterogene Veranstaltung, mit einer fragilen inneren Balance. Es gibt gut verdienende Beamte und Hartz-IV-Empfänger, orthodoxe Marxisten, geläuterte Postkommunisten, Kleingärtner, Feministinnen und Linksradikale.

Auch die Klientel der Partei ist kompliziert. Eine Hälfte will krachende Antirhetorik, die andere Realpolitik. Bislang löst die Partei diese Widersprüche denkbar einfach. Es gibt für jeden etwas: Gysi für die Realos, Wagenknecht für die radikale Pose.

Doch die Rahmenbedingungen verschieben sich. Die SPD verabschiedet sich zaghaft von ihrer Abgrenzungsneurose Richtung Gysi. Wählt die SPD in Thüringen einen Linkspartei-Genossen zum Ministerpräsidenten, wäre das wirklich neu.

Das heißt: Der Außendruck, der in der Linkspartei zusammenzwingt, was nicht unbedingt zusammengehört, sinkt. Das gibt innen mehr Bewegungsfreiheit. Die Ostpragmatiker werden stärker und vorsichtig selbstbewusster. Etwas gerät in Bewegung. In Zeitlupe.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • TB
    Thorsten Büchner

    Tut mir leid, aber ich kann in dieser Partei nichts realpolitisches erkennen. Es sei denn, man definiert eine antieuropäische, antiamerikanische, antisemitische, kurzum antizivilisatorische Grundhaltung als Mainstream.

    • H
      Hans
      @Thorsten Büchner:

      Bitte begründen Sie Ihren Glauben, die Partei die Linke sei antiamerikanisch, antisemitisch und antizivilisatorisch? Sie wissen ja sicher: Glauben, ist nicht wissen.

  • H
    Hans

    Herr Reinecke,

    verfolgen Sie eigentlich mit Ihrem Kommentar eine politische Agenda? Ihre Artikel und Kommentare zeigen eindeutig Ihre politische Haltung.

     

    Wenn die LINKE sich zur Realpolitik öffnet, wird ihr sicherlich das gleiche passieren, wie der SPD und den Grünen, sie verlieren Wähler und werden zu einer Partei der Mitte in Variation. Dies kann jedoch die demokratische Landschaft negativ beeinträchtigen, wie man an der Politik der großen Koalition sieht. Sie scheinen an einer linken Partei der Mitte oder ihrer Bedeutungslosigkeit eher interessiert zu sein.

  • BG
    Bodo Goldmann

    Das Streben nach Regierungsbeteiligungen führt

    natürlich zu Anpassungen, das ist unweigerlich.

    Diese Anpassungen verschrecken einen Teil der Mitglieder und der Wähler, und das könnte die Linkspartei im Moment nicht verkraften.

    Deshalb gibt es noch Raum für wortgewaltige Rhetorik.

    Der Prozess aber ist unausweichlich.

    Und damit ist das Ende der Linksradikalen in dieser Linken vorgezeichnet.

    Geht wohl nicht anders.....

    • @Bodo Goldmann:

      Und wie schafft es die CDU (*polter:*" wer bedrrrügt, der fliekt!")sich diesem natürlichen Prozess zu entziehen?

      • @OpaMejang:

        naaa... CSU meint Ih, obwohl das eigentlich auch so stehen bleiben könnt...

  • Mal wieder versucht Herr Reinecke die Linkspartei nach rechts zu schreiben. Und mal wieder wird das nichts nützen.

     

    Es lanweilt bereits.

  • Die Linke bewegt sich immer mehr von ihren Idealen weg, arrangiert sich immer mehr mit dem kapitalistischen System, wird "realpolitisch" in dem Sinne, über den aktuellen Ist-Zustand nicht mehr hinauszudenken, und geht denselben Weg der Pervertierung wie die Grünen - und das soll auch noch "Fortschritt" sein? Da fällt mir spontan Lenin dazu ein - "Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück" ...

  • Was ein Fortschritt oder ein Rückschritt ist, lieber Herr Reinicke, dass hängt von Standpunkt ab. Sie sind mir mit Ihrem recht aufdringlich. Wenn sie so weitermachen, werden wir zwar noch das Recht auf eine freie Meinungsäußerung haben, selbige aber nicht mehr sagen dürfen. Sie sind nicht das Maß der Dinge. Doch für eines bin trotzdem dankbar, ich hole mir jetzt die Wagenknecht- Rede um mir ein Bild über Sie Herr Reinecke zu machen.

  • WO
    Widerstand oder Anpassung?

    Die SPD wurde bekämpft durch die Sozialistengesetze, aber weil sie dennoch gekämpft hat, musste Bismarck die Sozialversicherung einführen. Danach passte die SPD sich immer mehr an bis zum "Burgfrieden" und das bedeutete: Weltkrieg.

     

    Die Parteiführung war sogar so angekommen, dass sie nach der Katastrophe und nach der Novemberrevolution mit den alten Mächten - Militär und Industrielle - paktierte. Nur so war das Erstarken der Rechten in der Weimarer Republik möglich.

     

    Wozu führt also Anpassung?

  • FG
    Frieden, Gleichheit, Solidarität?

    Das wahre Paradoxon:

    Die "Realos" haben unrealistische Vorstellungen. Die passen sich nur an - wie die Grünen - und kommen an - wie die Grünen. (Die Grünen erreichen politisch ja nicht mal mehr etwas beim Thema Umweltschutz.)

     

    Ein zweite (Ost-)"S"PD brauchen wir nicht. Und neue Wohlfühl-Grüne (die Grünen werden gerade zu Schwarze) auch nicht.

     

    Es braucht keine radikale Pose, sondern radikale Politik - Politik, die an die Wurzeln geht: Es ist so gut wie nichts gegen eine erneute Finanzblase getan worden - keine Finanztransaktionssteuer, keine Bankenabgabe, keine Vermögensabgabe, keine Finanzmarktregulierung. Und die derzeitige Krise ist nicht einmal behoben. Die Gefahr des Klimawandels und das Problem des weiter produzierten Atommülls sind noch lange nicht gelöst, die Energiewende wird von CDU, SPD und Gesamtmetall bekämpft. Die Regierungsparteien lernen nichts aus Afghanistan und Libyen und wollen am liebsten stärker in Syrien und Afrika mitmischen. Griechenland wird sozial zerstört. Ungarn (erneut) faschisiert, ebenso die Ukraine. Krieg wird Frieden vorgezogen. Alles für massive Profite für die Superreichen und damit die großen EU-Staaten, besonders Deutschland, global mitmischen können.

    Kurzfristig profitiert davon das 1%.

    Langfristig geht so eine Politik nur in den Abgrund, siehe 1945.

  • Die Linke ist ganz doll zerstritten, radikal kommunistisch und nicht regierungsfähig.

     

    Ist ja gut jetzt Herr Reinecke.

    • GD
      Glaube doch an die neue Festung!
      @Obsidious:

      Frontex ist doch aber eine linke Idee (genauer: eine ********SOZIALISTISCHe)!