Kommentar Krisengefühl: Angst vor Streit
Die deutsche Beharrlichkeit und Liebe zum Konsens zeigt sich gerade in der jetzigen Krise. Für die Linke ist das eine ernüchternde Feststellung. Doch im Herbst könnte sich das Blatt wenden.
Die Wirtschaftskrise ist im Sorgenhaushalt der Deutschen angekommen. Doch trotz Angst vor einer schlechteren Wirtschaftslage und steigender Arbeitslosigkeit ist man in Deutschland erstaunlich gelassen. So gelassen, dass die Umfrageexperten den Deutschen gar den "Angsthasenstatus" absprechen wollen. So sorgt sich die Bevölkerung im Durchschnitt nicht mehr als in den letzten zwei Jahren. Auch gilt die Angst weniger dem Verlust des eigenen Jobs als vielmehr einer insgesamt ansteigenden Arbeitslosigkeit.
Daraus mag für viele Blauäugigkeit sprechen. Vor allem aber zeigt es, dass die größte Sorge der politischen Stabilität im Land gilt. Attackieren die politischen Akteure sich hingegen, droht gar im entferntesten Sinne Klassenkampf, geht die Angstkurve nach oben, interpretieren Experten die aktuelle Studie der R+V Versicherung.
Für all die Linken, die in der Wirtschaftskrise eine Chance zur Veränderung sahen, ist das eine ernüchternde Feststellung. Deutsche Beharrlichkeit und die Liebe zum Konsens wiegen die Lust auf Polarisierung und den Mut zu einer konfliktreicheren Politik noch immer auf.
Doch noch darf man gespannt sein, wie die Angstkurven nach oben schnellen werden, wenn im Herbst und Winter die Arbeitslosenzahlen steigen. Eines sollte klar sein: Angst ist kein guter Partner, um politische Veränderungen anzustoßen. Sinn für Realität hilft da schon eher. Den immerhin scheint man hierzulande auch zu haben: Zwei Drittel der Bevölkerung wissen, wie die Krise und die angestiegene Staatsverschuldung zu bezahlen sein wird: durch Kürzungen bei den Sozialleistungen. Dann kann man nur hoffen, dass aus Angst Wut wird. Und natürlich auch, dass diese Wut vielleicht doch noch die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft trifft und nicht stattdessen den Rechtsextremen in die Hände spielt.
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