Kommentar Krieg und Wahl in der Türkei: Erdoğans Fehlkalkulation
Türkeis Präsident will die kurdisch-linke HDP kriminalisieren. Laut neuen Umfragen kann Erdogan mit seiner Strategie durchaus scheitern.
E in Teil der Türkei befindet sich im Krieg. In vielen Städten im kurdischen Südosten der Türkei ist der normale Alltag zusammengebrochen. Es wird täglich geschossen, teilweise herrscht Ausgangssperre, einige ländliche Gebiete sind abgeriegelt und kaum noch zu erreichen.
Es sterben Zivilisten, PKK-Guerilleros und Sicherheitskräfte. Seit Beginn der Kampfhandlungen Ende Juli mehr als 120 Polizisten und Soldaten. Die Stimmung ist enorm aufgeladen. Immer wieder kommt es im Westen der Türkei zu Übergriffen auf Kurden, die von den Nationalisten pauschal für den „PKK-Terror“ verantwortlich gemacht werden.
Dennoch scheinen die Kriegstreiber beider Seiten ihre politischen Ziele nicht zu erreichen. Präsident Erdoğan, der gehofft hatte, durch die neuerlichen Kämpfe mit der PKK die Stimmen für seine AKP wieder vermehren zu können, indem er sich als alleiniger Garant von Stabilität und Sicherheit ausgibt, muss feststellen, dass die Umfragen für die Neuwahlen am 1. November eher neue Verluste voraussagen.
Aber auch die Hardliner bei der PKK, die sich von der kurdisch-linken HDP, die bei den Wahlen im Juni sensationelle 13 Prozent holte, in ihrem Alleinvertretungsanspruch für die Kurden bedroht sehen, bringt der Krieg nichts. Die HDP, die ständig alle Seiten auffordert, sofort die Waffen schweigen zu lassen, erhält nach wie vor großen Zuspruch. Schafft sie am 1. November erneut 13 Prozent oder mehr, wäre HDP-Chef Selahattin Demirtaşendgültig der neue Star der Kurden.
Allerdings ist es mehr als fraglich, ob Erdoğanund die PKK-Führung daraus nun den Schluss ziehen, tatsächlich wieder einen Waffenstillstand auszurufen. Wahrscheinlicher sind neuerliche Tricks Erdoğans,um an der Macht zu bleiben. So macht bereits das Gerücht die Runde, Erdoğankönnte die Wahlen verschieben, um erst einmal per Notstandsverordnung zu regieren. So lange, bis der Wähler ihm endlich die Stimme für seine angestrebte Präsidialdiktatur gibt.
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