Kommentar Krieg in Libyen: Störfall Gaddafi
Ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzung muss Priorität aller beteiligten Parteien sein. Aber es sieht so aus, als wäre es für eine Verhandlungslösung bereits zu spät.
J eder weitere Tote und Verletzte im Krieg in und gegen Libyen ist einer zu viel. Egal ob Zivilist, aufständischer Kämpfer oder Regierungssoldat. Ein Ende der Gewaltanwendung sollte daher auf allen Seiten oberste Priorität der politischen Bemühungen sein. Soweit die seit Sonntag bekannt gewordenen Vorschläge und diplomatischen Aktivitäten dies zum Ziel haben, sind sie zu begrüßen. Ein Waffenstillstand und Gaddafis Bereitschaft zum Rücktritt wären in der verfahrenen Lage die beste Lösung.
Die Chancen, dass sich der libysche Machthaber darauf einlässt, wären allerdings sehr viel größer gewesen, wenn die internationale Gemeinschaft entsprechende Vorschläge schon vor Beginn der westlichen Militärintervention und der sie ermöglichenden UNO-Resolution vom 18. März gemacht hätte. Oder besser noch vor der Sanktionsresolution vom 26. Februar, mit der der Sicherheitsrat zugleich ein Verfahren gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Gang setzte.
Damals hätte Gaddafi ein – mit für ihn gesichtswahrender Rhetorik – unterbreitetes Angebot, sich mitsamt seinem Familienclan in ein komfortables Auslandsexil zu begeben, vielleicht noch angenommen. So wäre viel Blutvergießen vermieden worden.
ANDREAS ZUMACH ist taz-Korrespondent in Genf.
Als der Autor dieser Zeilen Bundesaußenminister Westerwelle Ende Februar in Genf vor den versammelten Medien aus aller Welt nach dieser Exil-Option fragte, wurde er ausgelacht. Damals setzten alle westlichen Regierungen – egal ob sie später die militärische Intervention unterstützten oder nicht – auf den schnellen Sturz von Gaddafi. Inzwischen wird der Machthaber in Tripolis zwar von immer mehr Getreuen verlassen und steht mit dem Rücken zur Wand. Doch ob Gaddafi sich dieser Lage bewusst ist und, wenn ja, ob dies seine Bereitschaft zum Machtverzicht erhöht oder das Gegenteil bewirkt, ist höchst ungewiss.
Zugleich steht die Nato-geführte Kriegskoalition mit jedem Tag, an dem das Gaddafi-Regime an der Macht bleibt und seine Truppen weiterkämpfen, unter zunehmendem Erfolgszwang und dem Erwartungsdruck der Aufständischen, ihnen zur Vertreibung des gesamten Gaddafi-Clans von der Macht zu verhelfen.
Kein Wunder, dass der Nationalrat der Aufständischen den Vorschlag der beiden Gaddafi-Söhne für einen von ihnen geführten "Übergangsprozess zur Demokratie" umgehend und "vollständig" zurückgewiesen hat. Möglicherweise gibt es für eine wie auch immer geartete Verhandlungslösung zwischen den beiden libyschen Konfliktparteien bereits keinerlei Spielraum mehr. Dann käme es auch nicht zu einem Waffenstillstand – selbst wenn die internationale Kriegskoalition ihre Angriffe einstellen sollte.
Es sei denn, es würden UNO-Blauhelmtruppen zur Durchsetzung eines Waffenstillstands zwischen den Kriegsparteien stationiert. Doch dazu sind die Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates bislang nicht bereit.
Unter diesen Umständen scheint eine wochen-, wenn nicht monatelange Fortsetzung des Blutvergießens in Libyen derzeit leider das wahrscheinlichste Szenario.
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