Kommentar Konsumschecks: Gutscheine ja, aber nicht für Reiche
Kosumgutscheine können die Krise abmildern. Weitaus sinnvoller wäre es jedoch, endlich den viel zu knapp bemesssenen Hartz IV-Regelsatz zu erhöhen.
N icht nur die Krise, die in den USA begann, hat Deutschland erfasst. Auch die Gegenmaßnahmen werden nun von dort importiert. Linke SPD-Politiker, aber auch aufgeklärte Ökonomen schlagen vor, dass die Bundesbürger Anfang kommenden Jahres Konsumgutscheine erhalten sollen. Ein paar hundert Euro vom Staat würden die Kaufbereitschaft heben und die Rezession zurückschlagen, so das Kalkül. Diese Debatte belegt: Im Gegensatz zu den jahrelangen ermüdenden Diskussionen zwischen Neoliberalen und Keynesianern hat in Deutschland ein neuer politisch-ökonomischer Pragmatismus Einzug gehalten.
Hannes Koch ist Autor der taz.
Ja, Konsumgutscheine können ein Mittel der Wirtschaftspolitik sein. Sie mögen dazu dienen, die Krise abzumildern. Aber die Befürworter sollten sich auch über die Begrenztheit ihres Konzepts im Klaren sein. Denn eine Frage stellt sich sofort: Wer soll das Geld bekommen?
Wenig Sinn hat es, mit der Gießkanne 40 Milliarden Euro zu versprühen. Wer so viel Geld mobilisiert und eine entsprechende Staatsverschuldung in Kauf nimmt, muss die Mittel gezielt einsetzen. Das heißt: Bundesbürger, die 6.000 Euro brutto verdienen, brauchen keine Konsumschecks, Millionäre ebenso wenig. Diese Bevölkerungsgruppen schränken ihren Konsum angesichts der Krise sowieso nicht ein.
Das Geld darf nur an Menschen fließen, die knapp bei Kasse sind. Hartz-IV-Empfänger, Niedriglohnbeschäftigte und Teilzeitarbeiter tragen jeden zusätzlichen Euro in die Geschäfte. Wer die beginnende Rezession wirksam bekämpfen will, unterstützt deshalb diese Leute.
Längerfristig gesehen aber wird es nicht ausreichen, einmalig einen Konsumgutschein an Erwerbslose auszugeben. So richtig die Initiative zunächst wäre, sie allein kann das Problem nicht lösen. Konsequent im Sinne des neuen Pragmatismus wäre es, endlich mit dem Dogma zu brechen, dass 356 Euro pro Monat reichen müssen, um sich vernünftig zu ernähren und zu kleiden. Der Hartz-IV-Regelsatz verhindert ein menschenwürdiges Leben. Er ist zu niedrig. Wer ihn anhebt, tut gleichzeitig etwas gegen die Wirtschaftskrise. Höhere Hartz-IV-Zahlungen sind permanente Konsumgutscheine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen