Kommentar Koalition in Hessen: Pragmatismus statt Politikwechsel

Ein Politikwechsel ist das nicht, was in Hessen passiert. Die künftige schwarz-grüne Landesregierung könnte aber ein Modell für den Bund werden.

Haben zueinander gefunden: Volker Bouffier (l.) und Tarek Al-Wazir. Bild: dpa

Zügig, konzentriert und pragmatisch haben CDU und Grüne in Hessen drei Wochen über einen Koalitionsvertrag beraten, der durchaus historisch zu nennen ist. Wenn es bei den Verhandlungen so etwas wie ein Leitmotiv gegeben hat, dann war es „Stabilität“.

Schwarz-Grün in Hamburg? Ein flüchtiger Flirt. Jamaica im Saarland? Eine wacklige Notlösung. In Wiesbaden betonen nun alle Beteiligten, diese neue Koalition sei keine „Liebesheirat“, nicht einmal ein „Projekt“.

Hessen ist ein wirtschaftlich wichtiges Flächenland mit mehr als sechs Millionen Einwohnern. Es hat eine Regierung nötig, die hält – auch das, was sie verspricht.

Ein „Politikwechsel“, wie ihn die Oppositionsparteien vor der Wahl gefordert hatten, lässt sich aus dem Koalitionsvertrag zwar nicht herauslesen. Dass es diesen Vertrag überhaupt gibt, dass ihn zwei ehemals orthodoxe Landesverbände ausgehandelt haben – das ist schon ein zivilisatorischer Fortschritt.

Unter Volker Bouffier hat in der hessischen CDU ein Pragmatismus die Oberhand gewonnen, den man kaum für möglich hielt. Gleiches gilt für Tarek Al-Wazir, der seine Grünen aus den ideologischen Schützengräben geführt und nun herausgeholt hat, was herauszuholen war.

Al-Wazir kann jetzt versöhnen

Mag sein, dass ein so umstrittenes Problem wie der Frankfurter Flughafen nicht gelöst, sondern auf die lange Bank geschoben wurde. Mag sein, dass den Grünen mit zwei Ministerien weniger Ressorts zufallen als zuletzt dem wesentlich schwächeren CDU-Juniorpartner FDP.

Als Wirtschaftsminister aber kann Al-Wazir die ihm vorschwebende Versöhnung von Ökonomie und Ökologie weit besser vorantreiben, als dies in einer Großen Koalition möglich gewesen wäre. Er wird diesen Umbau persönlich verantworten, und er wird sich an den Ergebnissen messen lassen müssen.

Schon im Vorfeld wurde der Vertrag sowohl vom linken Spektrum als auch von Wirtschaftsverbänden kritisiert. Der entspannte Bouffier nahm das als Zeichen, dass seine Regierung auch mit den Grünen die Mitte besetzt und „wir so falsch nicht liegen können“.

Al-Wazir dagegen wird künftig den Beweis führen müssen, dass die Mitte, in die er seine Partei geführt hat, tatsächlich eine goldene sein kann – und damit ein Modell für den Bund. 14 Jahre hat er auf diese Gelegenheit gewartet.

Daher wird ihm auch die Gefahr bewusst sein, dass er am Ende nicht das Land, sondern unter wohlwollender Aufsicht eines präsidialen Landesvaters vor allem die CDU modernisiert haben könnte.

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