Kommentar Kitaplätze: Eine kleine Kulturrevolution
813.000 öffentlich geförderte Betreuungsplätze für unter Dreijährige soll es geben. Nun feiern sich alle selbst. Die Qualitätsfrage bleibt unbeantwortet.
E s wirkt ein bisschen wie eine der Spendensammelaktionen im Fernsehen, bei denen eine wachsende Summe eingeblendet wird, um die Unterstützung für eine gute Sache zu demonstrieren, und alle dazu Beifall klatschen: Nun also 813.000!
Das ist die Zahl der öffentlich geförderten Betreuungsplätze für unter dreijährige Kinder, die demnächst zur Verfügung stehen. Familienministerin Schröder (CDU) lobt die Kommunen, und diese loben sich selbst – eine gigantische Aufgabe sei damit fast erledigt, so der Tenor.
Fast alle Eltern von Kleinstkindern, die ihren Nachwuchs öffentlich betreuen lassen wollen, finden angeblich einen Platz. Aber das Zahlenspiel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frage der Betreuung von Ein- und Zweijährigen viel mehr ist als nur ein Zahlenproblem.
ist Inlandsredakteurin der taz.
Denn die Qualitätsfrage in den Kitas, die Frage, ob die Tagesstätten gut erreichbar sind, ob es genug BetreuerInnen gibt, um den Kleinstkindern genug Körperkontakt und Wärme zukommen zu lassen – also genau die Fragen, die Eltern umtreiben, werden durch Zahlentabellen nicht beantwortet.
Man darf nicht vergessen, dass der Kitaausbau eben auch eine gesellschaftliche Verschiebung der Familienarbeit bedeutet: Die Familienarbeit mit den Kleinstkindern wandert vom Privaten in den öffentlichen Raum, in dem man eher spart als großzügig ausgibt. Die Mütter vor allem werden damit verfügbarer für die Privatwirtschaft, der es an Arbeitskräften mangelt. Das ist eine kleine Kulturrevolution, in die übrigens auch die Reformen des Unterhaltsrechts passen, die eine wirtschaftliche Eigenständigkeit der Partner betonen.
Aber wie gut die Kleinstkinder berufstätiger Mütter und Väter wirklich umsorgt sind, könnte sich damit zu einer neuen sozialen Frage entwickeln. Dann nämlich, wenn dem quantitativen Ausbau von Betreuungsplätzen eine qualitative Verschlechterung folgt, wie es in mit Fachkräften dünn besetzten Kitas jetzt schon droht. Dann, wenn Betuchte ihren Nachwuchs im Knuddelalter lieber von privat bezahlten Tagesmüttern körpernah durch die Gegend tragen lassen, als sie dem groben Betreuungsschlüssel der öffentlichen Kitas anzuvertrauen.
Vor allem aber: Der Kitaausbau kann immer nur ein Baustein sein zur Vereinbarkeit von Kleinkind und Beruf. Am Ende muss die Wahlfreiheit erhalten bleiben für den persönlichen Mix aus Eigen- und Fremdbetreuung.
Das ist nicht nur eine Frage der Kitaplätze und deren Ausgestaltung, sondern auch der Arbeitszeiten, der Gehälter, der Rückkehrmöglichkeiten in den Job.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher