Kommentar Kinderpornografie: Absurde Lethargiedebatte
Die Diskussion um Kinderpornografie ist absurd. Viel wichtiger für Union und SPD wäre das Thema Finanzkrise.
Es waren geradezu Festspiele des Aktionismus, mit denen Union und SPD am Mittwoch ihren angeblichen Kampf gegen Kinderpornografie in Szene setzten. Kabinettsbeschluss am Morgen, Pressekonferenz am Mittag, dann Aktuelle Stunde im Bundestag: Fast schon zwanghaft klammert sich die Koalition an dieses Thema, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Da spielt es keine Rolle, dass die zuständigen Ministerinnen sich nicht einig sind und ein Gesetz damit in weiter Ferne liegt. Zu glücklich waren die Regierenden, überhaupt ein Thema für die Kabinettssitzung zu finden. Noch am Wochenende hatte es ganz danach ausgesehen, als müssten die Minister ohne Beschlüsse auseinandergehen.
Dabei ist die aufgeregte Debatte über die schwarz-rote Selbstblockade einigermaßen absurd. Das Thema, nach dem die Regierung händeringend sucht, gibt es längst: Es ist die Krise. Opel-Sanierung oder HRE-Enteignung böten nicht nur Stoff für Diskussionen von morgens bis abends, Tag für Tag. Sie hätten diese Debatten auch bitter nötig. Alternativkonzepte für den Umgang mit der Bankenkrise werden derzeit allenfalls auf den hinteren Seiten der Wirtschaftsteile vertieft diskutiert. Auf der politischen Oberfläche gibt es dagegen, wenn überhaupt, nur sachfremde Scheingefechte um Kampfbegriffe wie Enteignung.
Dass andere Gesetzesvorhaben ein halbes Jahr vor der Wahl nicht recht vom Fleck kommen, ist hingegen kein Novum in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Es ist auch kein Spezifikum der großen Koalition, und eine Tragödie ist es erst recht nicht. Im Gegenteil. Gerade beim Thema Kinderpornografie zeigt sich, wie fatal sich kurzfristiger Wahlkampfaktionismus auswirken kann: Während einerseits Experten die Vorschläge der Familienministerin für weitgehend wirkungslos halten, warnen andererseits Datenschützer vor einem Einfallstor für willkürliche Zensur im Netz. Bei solchen Schnellschüssen sollte man lieber froh sein, wenn das eine oder andere Politikfeld für den Zugriff des Gesetzgebers gesperrt bleibt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin