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Kommentar Kampf gegen ISDeutschland muss sich erklären

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Kämpfer in Kobani brauchen Unterstützung. Nur mit dem Finger auf Erdogan zu zeigen, ist zu billig. Aus Berlin kommt nur betretenes Schweigen.

Was ist mit humanitärer Hilfe für die Flüchtlinge, die in der Türkei gestrandet sind? Bild: ap

W arum unternimmt die Welt nicht mehr, um den Kurden in Kobani zu helfen, damit die Grenzstadt nicht in die Hände der Dschihadisten vom Islamischen Staat fällt? Klar ist, dass der Vormarsch der IS-Milizen nicht allein durch Luftangriffe der USA zu stoppen ist und dass die Kämpfer dort Hilfe brauchen. Doch von Ankara über Washington bis Berlin gibt es nur widersprüchliche und verdruckste Erklärungen, es überwiegt betretenes Schweigen.

Am einfachsten scheint es, die Türkei würde mit ihren Soldaten über die Grenze marschieren, dem Spuk ein Ende machen und die IS-Milizen zurückdrängen. Die Türkei aber scheut diesen Schritt. Und auch die syrischen Kurden und die PKK, mit der sie verbündet sind, misstrauen einem Einmarsch der Türkei, weil sie fürchten, diese würde die syrische Kurdenregion unter ihre Kontrolle bringen. Stattdessen wollen sie direkte Waffenlieferungen. Das wiederum wird die Türkei niemals zulassen, ihrem Friedensprozess mit der PKK zum Trotz.

Dass die Türkei es nicht schafft, sich mit den syrischen Kurden gegen den IS zu verbünden, ist ein Trauerspiel. Nur mit dem Finger auf Erdogan zu zeigen, ist aber zu billig. So oder so muss er fürchten, dass der Konflikt auch auf sein Land übergreift. Und die Konsequenzen eines türkischen Einmarschs sind auch für die Nato, deren Mitglied die Türkei ist, kaum absehbar. Denn damit würde sie erstmals mit Bodentruppen in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Aber mit welchem Ziel? Und was werden Russland und der Iran, die Assad noch immer unterstützen, dazu sagen? Sie drängen schon lange darauf, den syrischen Diktator aus der Schusslinie zu nehmen.

Die Menschen von Kobani drohen zwischen diesen Interessen zerrieben zu werden. Mit ihrem Angriff haben die IS-Milizen ihre Gegner erfolgreich paralysiert. Sollten sie die Stadt erobern, wäre das ein riesiger propagandistischer Erfolg. Aber auch für viele Kurden ist Kobani zum Symbol geworden. Sie fühlen sich verraten, und ihre Wut entlädt sich auch auf deutschen Straßen.

Die Bundesregierung muss deshalb erklären, warum sie zwar den Kurden im Nordirak Waffen liefern konnte, ihr jetzt aber die Hände gebunden sind. Das ist sie der Öffentlichkeit schuldig. Und sie muss ihre humanitäre Hilfe für die über eine Million syrischer Flüchtlinge, die in der Türkei gestrandet sind, verstärken. Denn da kann sie etwas tun.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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19 Kommentare

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  • "Dass die Türkei es nicht schafft, sich mit den syrischen Kurden gegen den IS zu verbünden, ist ein Trauerspiel."

     

    Dass Europa es nicht schafft, sich mit den arabischen Ländern gegen den IS zu verbünden, ist ein viel grösseres Trauerspiel. Nicht militärisch, sondern einfach nur mit Worten. Aber dazu sind unsere Politiker nicht imstande. Der Westen ist unfähig zu Friedenspolitik. Er tut NICHTS! Und der kleine Mann weiss es nicht besser und hofft auf das Militär. Dieses birgt allerdings nur unser aller Untergang!

    • @bouleazero:

      Mei, die EU und die Welt können russische Konten einfrieren, sogar der Ausschluss aus SWIFT wurde gefordert. Bei IS ist das scheinbar unmöglich bzw. es wird nicht einmal darüber nachgedacht. Wahrscheinlich betreiben diese hinterlistigen Terroristen eigene dämonische Schattenbanken. Sie hatten sich auch so gut vor dem CIA, MI6, Mossad u. NSA versteckt und sich heimlich über Facebook abgesprochen. Was für Kanzlerin Merkel Neuland beherrscht eben der IS. Nichts davon gehört, von wegen Kontensperrungen, Sanktionen usw. Man hört mehr von Ölverkäufen des IS, guten Geschäften und unermesslichem Reichtum (Banken u Konten natürlich unbekannt). Wo der Munitionsnachschub herkommt - unbekannt. Und Rekrutierungshomepages in glänzendem Design die niemand sperren kann. Wie lange geht das jetzt? 2 Monate? Angefangen hat´s im Irak. Ich kann mich noch an die Zurschaustellung der Hightechkriegsführung im deutschen Fernsehen erinnern. Gezielte Schläge, Hightechkrieg aus der Luft. Klassische Kriegsführung sei nicht mehr notwendig durch die Überlegenheit. Irak und Co damals. Aber die internationale Antiterrorkoalition scheitert an Kontensperrungen, dem Vormarsch des IS zu stoppen -scheinen übernatürliche Kräfte im Spiel zu sein. Fläche wie Belgien jetzt, hab ich gehört.

  • Wer finanziert den feudal-religiösen Islamischen Staat?

     

    Günter Meyer, der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, hat keinen Zweifel an den Geldflüssen.

     

    "Die wichtigste Quelle der Finanzierung war bisher die Unterstützung aus den Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, aber auch katar, Kuwait und die Vereinigten Arabiscvhen Emirate", so Meyer gegenüber der Deutschen Welle.

     

    Es gebe Grund zur Annahme, dass der Finanzierungsstrom aus Saudi-Arabien weiter fließe, "weniger von der saudischen regierung, sondern von Seiten reicher Saudis."

     

    Vgl.: ISIS gut bei Kasse

    www.dw.de/wr-finanziert-isis/a-17718504

     

    Merke: Prinzen und Monarchisten aus Katar und Saudi-Arabien sind auch an der Deutschen Wirtschaft beteiligt. Auch an der Deutschen Bank und Daimler AG.

     

    Nun, wer finanziert u. a. auch den Islamischen Staat (IS) ? (!)

     

    Aufwachen, treubrave Merkelsche und Gaucksche Michels! (?)

  • "Bleibt man bei dem bisherigen Kurs, keine Bodentruppen zu entsenden" - Hallo, die Kurden (siehe Salih Muslim, unten) wollen gar keine ausländische Unterstützung durch Bodentruppen, wie es aus einigen Quellen hervorgeht.

    Türkische und amerikanische Bodentruppen, die man dann nicht wieder los wird?

     

    Die Diskussion über die Bodentruppen ist Augenwischerei! Effektivere Luftunterstützung und einen Durchmarsch der kurdischen Truppen durch türkisches Hoheitsgebiet würde vollkommen reichen.

     

    Wenn die USA von ihrer Basis in der Türkei mit Hubschraubern eingreifen würde, wäre das vollkommen genug! Auch, wie ist es möglich, dass wer weiß wie viele Panzer bei super Wetter über freier Ebene auf Kobani vorrücken können, ohne dabei aus der Luft angegriffen zu werden?

     

    Noch einmal: Vielleicht reicht es ja schon, die IS nicht weiter mit Waffen zu versorgen, deren Nachschub abzuschneiden und die Truppen der Kurden durch das türkische Gebiet nach Kobani ziehen zu lassen?

  • Der ganze Schlamassel mit der IS hätte uns wohl erspart bleiben können, wenn man vor drei Jahren auf den ach so bösen Putin gehört hätte. Der hat ausdrücklich davor gewarnt, die syrischen Rebellen gegen Assad zu unterstützen, da es sich dabei um extremradikale Islamisten handelt. Aber Europa und die USA, die in ihrem selbstgefälligen Wahn glaubten, dass aus den arabischen Frühlingen stabile Demokratien entstehen würden, hat das nicht interessiert.

     

    Jetzt haben wir eine Situation, wo man nur noch zwischen Pest und Cholera entscheiden kann. Bleibt man bei dem bisherigen Kurs, keine Bodentruppen zu entsenden, wird es zu weiteren Massakern und massenhaftem Leid an unschuldigen Menschen kommen. Schickt man jedoch Truppen, wird es an langer, schmutziger und verlustreicher Krieg werden, dessen Ausgang genauso erfolglos sein kann wie der Afganistankrieg.

  • Sollte Der Türkische Regierung nur Türken repräsentieren so sollten sich auch aus Kurdischen Boden und Land in der Türkei zurück ziehen. Aber wenn Der Regierung meint wir sind Brüdern. Dann sollte Regierung so reagieren so wie Azerbaijan oder sonst wo.

  • TAZ muss sich erklären!

     

    Vor zwei Wochen schreibt Ihr noch von völkerrechtswidrigen imperialistischen US-Agressionen gegen souveränes Kalifat und jetzt wird ein größeres militärisches Engagement gefordert.

     

    Es wäre nur redlich zu erklären, dass und warum Ihr Eure Meinung geändert habt.

    • D
      D.J.
      @Hannig Florian:

      Oh, wie süß, ein neuer Troll.

      • @D.J.:

        Ob Troll oder nicht, das kann ich nicht beurteilen, allerdings ist mir der Widerspruch auch schon aufgefallen.

        • D
          D.J.
          @Trango:

          wo soll denn die taz von einem souveränen, also rechtmäßigen kalifat gesprochen haben?

          oder der kommentator meint das tatsächlich so. sicher, auch salafisten hätten das recht auf kommentare. ich schätze das sogar, weil nichts ist aufklärender, als die leute selbst zu wort kommen zu lassen.

          • @D.J.:

            am 24.9. stand auf der Taz-Titelseite:

            Völkerrechtswidrige imperialistische US-Aggression gegen souveränes Kalifat (IS).

            Über diesen Titel habe ich mich sehr geärgert (sehe mich übrigens nicht als Troll, hab das ja auch mit Klarnamen kommentiert). Jetzt finde ich es komisch, wenn dann auf einmal das Gegenteil auf der Titelseite erscheint. Dafür hätte ich gerne eine Erklärung

          • @D.J.:

            Ich vermute, er meint mit Kalifat den Umstand, dass de facto in den von IS kontrollierten Gebieten keine sonstige souveräne Staatsgewalt mehr besteht, insbesondere keine syrische, und dass auch von syrischer Seite offenkundig keine Bestrebungen erkennbar sind, die Hoheitsgewalt über das eigene Gebiet zurück zu erlangen. Parallel dazu proklamiert der IS für sich eine eigene staatliche Qualität.

             

            Jenseits dieser eher graduellen Betrachtungen bleibt es dabei, dass es völkerrechtlich völlig bedeutungslos ist, ob die USA oder die Türkei militärisch mittelbar oder unmittelbar v.a. in Kobane eingreift.

             

            Allerdings gibt es in der taz bisweilen die wohltuend differenzierte Sicht von Christian Rath, daher tut er der taz etwas unrecht.

  • "Aus Berlin kommt nur betretenes Schweigen." Betretenes Schweigen kommt, weil über Monate die IS als verbrecherisches Heer aus radikalen Fundamentalisten dargestellt wurde und die Regierung jetzt vor der Alternative steht, Druck auf die Türkei und die Golfstaaten auszuüben, gegen die IS vorzugehen (bzw. nicht länger zu unterstützen) oder zuzusehen, wie die IS die Kurden abschlachtet. Und zudem besteht wohl auch noch insgeheim die Hoffnung, dass die IS das System Assad zu Fall bringt. Die Kurden wären dann nur ein "Bauernopfer"!

  • Die BRD muss jetzt vor allem die Kapitalgeber des IS suchen, die aus den Beteilligungen Katars z.B. Gewinne ziehen, die dort landen.

     

    Und ich will zukünftig nur noch schottisches, norwegisches oder russisches Öl haben. Warum kann die BRD nicht mal dafür sorgen, dass man weiß, woher man sein Öl bezieht?

    • @Age Krüger:

      vielleicht sollte der gute AK überhaupt kein Öl mehr von der BRD beziehen

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Der Bündnisfall tritt ein, wenn der erste IS-Stiefel türkischen Boden betritt und nicht vorher.

     

    Bis dahin gilt: Die zerrütteten Gesellschaften und zerfahrenen Situationen in Syrien und anderen Ländern der Region können nur von ihnen selbst in Ordnung gebracht werden. Man muß sich endlich vom Irrtum lösen, daß der Zweite Weltkrieg und die Befreiung Deutschlands von der Nazidiktatur exemplarisch für alle folgenden Konflikte stünde. Die Grundvoraussetzungen waren völlig anders und die Methoden auch.

     

    Einzige Lösung für die bedrohten Syrer, die der Westen anbieten kann und muß: Alle Flüchtlinge schnell und unbürokratisch aufnehmen. Gerade Deutschland als wirtschaftsstärkste europäische Nation ist hier in der Pflicht & in der Lage.

  • Besser kann man die schiere Hilflosigkeit nicht ausdrücken, als es Daniel Bax in seinem Kommentar ungewollt tut. Nur sollte er so ehrlich sein, sich das auch einzugestehen. Sein konkretester Vorschlag ist schon, die "humanitäre Hilfe" für die Flüchtlinge zu verstärken. Naja, das hilft immerhin denjenigen, die überleben.

     

    Ansonsten erleben wir hier eine Neuauflage der Bosnien-Debatte. Alle finden das zwar ganz furchtbar, aber bei der Frage, was genau zu tun ist, kommen wieder die üblichen Bauchschmerzen. Musterbeispiel: Jan van Aken (PdL) gestern bei Anne Will. Alles, was jetzt, konkret und im Falle Kobanes, helfen könnte, möchte er nicht machen (etwa Waffenlieferungen), stattdessen weitschweifige, wolkige Erklärungen über Gesamtstrategien. Und genau nach diesem Muster von "man müsste" wird die Deabtte auch noch weiterlaufen, wenn der IS Kobane erobert und alle Verteidiger massakriert hat.

  • Vielleicht reicht es ja schon, die IS nicht weiter mit Waffen zu versorgen, deren Nachschub abzuschneiden und die Truppen der Kurden durch das türkische Gebiet nach Kobani ziehen zu lassen?

     

    "Bodentruppen jedoch will Barack Obama weiter nicht entsenden."

     

    Dazu Junge Welt: »Wir fordern schwere Waffen und keine ausländischen Bodentruppen. Die Bevölkerung von Kobani ist bereit, ihre Heimat gegen den IS zu verteidigen, doch wir sind waffentechnisch unterlegen«, wies der Kovorsitzende der in der kurdischen Selbstverwaltungsregion Rojava in Syrien führenden linken Partei der Demokratischen Union (PYD) Salih Muslim entsprechende Medienberichte zurück, wonach die Verteidiger von Kobani einen Einmarsch ausländischer Truppen gefordert hätten.

     

    Hinsichtlich der US-geführten Koalition forderte Muslim effektivere Luftangriffe auf den IS. »Unsere Kräfte warten in Afrin und Cazira. Sie sagten mir, dass die Türkei sie durchlassen werde, aber das ist bislang nicht geschehen«, erklärte Muslim am Dienstag abend über YPG-Einheiten, die in den beiden anderen zu Rojava gehörenden Kantonen zum Abmarsch über türkisches Territorium nach Kobani bereitstehen.

     

    Wie türkische Medien allerdings berichteten, hatte der türkische Geheimdienst Muslim am Wochenende in Ankara die Bedingung genannt, dass sich die YPG der Freien Syrischen Armee im Kampf gegen die syrische Regierung von Präsident Baschar Al-Assad anschließen müssten.