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Kommentar Kahn-AbschiedWie Kahn uns humanisiert

Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried

Kahn startete als neoliberaler, gefühlloser Erfolgsgorilla. Dann scheiterte er bei der WM 2002 an einem absurden Torwartfehler - und entwickelte als Ersatzkeeper gar soziale Intelligenz. Ecce homo!

D er langjährige Fußball-Nationaltorwart Oliver Kahn gab in dieser Woche bekannt, dass er lange Jahre in einem Tunnel gelebt habe, ausschließlich beschäftigt mit dem Ziel, der weltbeste Torhüter zu sein. Interessierte Medien schufen das Bild vom "Titanen". Da war er, der deutsche Übermensch, der kraft seines Willens alles schafft.

Bild: marco limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Heute macht Kahn sein letztes Profispiel, und da ist es Zeit, die wahre Symbolik zu benennen: Der Aufstieg des gnadenlosen Individualisten ab Mitte der 90er-Jahre schien die maximale neoliberale Erfolgsgeschichte zu sein. Was immer sich dem von "Rambo"- und "Rocky"-Filmen geprägten Kahn auf dem Weg zum Erfolg entgegenstellte, beförderte er per Ellbogen oder Kung-Fu-Tritt ins Jenseits. Oder zumindest aus dem Weg. Oder er biss es weg. Auch die eigenen Kollegen, denn wer nicht gut genug war, war sein Feind.

Aber dann wurde er nicht Weltmeister (was bis dahin der Sinn und die Begründung seiner Arbeit und Existenz war). Dem Torhüter auf der maximalen Höhe seines Handwerks und seiner Annahme, dass er allein alles könne, unterlief im WM-Finale 2002 ein absurder Torwartfehler. Danach, sagt Kahn, "kippte das System". Wenn Erfolg um jeden Preis nicht mal den Sieg erlaubt, läuft etwas schief. Kahn ging auf neue Sinnsuche, wechselte - klassisch - erst mal die Frau, verlor seine Eindimensionalität - und auch einen Teil der daraus resultierenden fachlichen Qualität. Er war nicht mehr der gefühllose Erfolgsgorilla. Irgendwann merkten es die Leute und hörten auf, Bananen nach ihm zu werfen. Als Ersatzmann Kahn im WM-Viertelfinale 2006 dem Kollegen und vormaligen Feind Jens Lehmann Glück für das Elfmeterschießen wünschte, tat er etwas, was bei einem Minimum an Zivilisation und Gemeinschaftssinn selbstverständlich ist. Dass diese Sekunde der sozialen Intelligenz die Nation noch heute bewegt, zeigt, wie wenig man noch dem neoliberalistischen Credo vertraut und wie sehr man sich nach Menschlichkeit sehnt.

Was passiere, wenn ihn nach dem heutigen Spiel die Rührung übermanne, das fragt man ihn seit Tagen. Kahn antwortet stets: "Dann weine ich halt." Ecce homo! Die frohe Botschaft lautet: Wenn selbst Kahn Mensch werden konnte, dann schaffst du das auch.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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1 Kommentar

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  • FS
    Frank Schmidt

    Ich mochte und möge Kahn überhaupt nicht, aber der Schuss von Rivaldo im Finale 2002 war ja wohl sehr hart, und kam nur zustande, weil der doofe, ungeschickte Didi Hamann den Ball an der Strafraumgrenze dumm vertändelte, weil er wohl dachte: "So Oli jetzt hältste mal 'nen Schuss vom Rivaldo".