Kommentar Käßmann: Rückkehr des Radikalpazifismus?
Warum hält sich Margot Käßmann nicht zurück, wenn Dampfplauderei droht? Es fehlt ihr derzeit noch an einer Haltung zum Krieg, die sich nicht in ahistorischem Radikalpazifismus erschöpft.
N ein, sie ist nicht missverstanden worden. Wenn sich Bischöfin Käßmann nun "schockiert" darüber zeigt, bei ihrer Neujahrspredigt in Dresden falsch verstanden worden zu sein, so klingt das doch arg nach Zurückrudern. Klar ist: Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche hält den Bundeswehreinsatz am Hindukusch für nicht (mehr) gerechtfertigt. Außerdem gibt es ihrer Ansicht nach keinen "gerechten Krieg", wie, so meint sie, ihre Kirche schon in einer Denkschrift dargelegt habe.
Mal abgesehen davon, dass das in der Denkschrift keineswegs so schlicht steht - es überrascht schon, wie einfach die Welt der Bischöfin sein kann. Zum Krieg gegen Hitler etwa sagt sie: "Warum wurde die Opposition in Deutschland nicht gestärkt? Warum wurden die Gleise, die nach Auschwitz führten, nicht bombardiert?" Tja, und warum hält sich Margot Käßmann nicht etwas mehr zurück, wenn Dampfplauderei droht?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt gute Gründe, warum die Kirche grundsätzlich gegen Krieg sein sollte. Das ist eine Lektion, die sie selbst erst nach Jahrhunderten des unsäglichen Segnens der Waffen mühsam gelernt hat. Insofern ist es richtig, wenn Protestanten immer wieder nach dem Sinn des Einsatzes in Afghanistan fragen. Es ist auch völlig in Ordnung, dass sich Käßmann hier etwas pazifistischer und klarer äußert als ihr Vorgänger Wolfgang Huber. Irritierend aber ist, dass solche Aussagen in ihrer Kirche erst dann richtig laut werden, wenn der Rückhalt für den Einsatz im Hindukusch in der gesamten Gesellschaft abnimmt.
Es fehlt der EKD-Ratsvorsitzenden derzeit noch an einer Haltung zum Krieg, die sich nicht bloß in einem eher ahistorischen Radikalpazifismus erschöpft. Das ist schwer, zugegeben. Aber diese Mühe sollte sich Margot Käßmann schon machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid