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Kommentar Jonathan MeeseAn Hitler verhoben

Ingo Arend
Kommentar von Ingo Arend

Noch gibt es kein Urteil gegen Jonathan Meese wegen seines Hitlergrußes. Aber die entscheidende Frage ist ohnehin nicht juristischer, sondern ästhetischer Art.

K ann man den Hitlergruß neutralisieren? Zum Glück musste das Kasseler Amtsgericht gestern nicht über diese Jahrhundert-Frage entscheiden. Eben diese Idee, so vertraute es Jonathan Meese dem Spiegel an, steht hinter der abgedroschenen Provokationsgeste, die ihn vor Gericht brachte.

Dass die Richter ausgerechnet in der Documenta-Stadt nicht sofort auf die „Freiheit der Kunst“ erkannt, sondern den Prozess vertagt haben, mag deren Freunde empören. Anselm Kiefer hat’s getan, Martin Kippenberger und Laibach habens getan. Warum nicht Jonathan Meese?

Wobei wir uns natürlich freuen, dass die Richter jeden öffentlichen Gebrauch von NS-Symbolen nun so rasch untersuchen, nachdem Justiz und Strafverfolgung im Fall des NSU so viel Langmut an den Tag gelegt haben. Wobei die brennenden Kreuze und der Hitlergruß, mit denen dessen Geschichte begann, eher ein Beitrag zum nazistischen Realismus waren als zum dadaistischen Neoexorzismus.

Ingo Arend

Ingo Arend, Politologe und Historiker. Arbeitet seit 1990 als Kulturjournalist und Essayist für Bildende Kunst, Literatur und Politisches Feuilleton.

Wie auch immer das Urteil bei Meese am Ende ausfallen wird. Die Frage, ob der Große Symbol-Neutralisierer Erfolg haben wird, wird nicht juristisch, sondern ästhetisch entschieden. Und da könnten einen Zweifel befallen, ob der „Babysoldat der Diktatur der Kunst” seinem selbstgestellten Kommandounternehmen gewachsen ist.

Bei dessen performativer Durchführung wirkt er mitunter wie ein Schüler von Sigmar Polke: Höhere Wesen befahlen: Hitlergruß neutralisieren! Wer, wie Meese in seinen „Ausgewählten Schriften”, das Hakenkreuz als “das präziseste Symbol aller Zeiten” bezeichnet, offenbart ein etwas schwammiges ästhetisches Urteilsvermögen. Und wer das Zeichen aller Zeichen immer nur wiederholt, „neutralisiert” es nicht. Er perpetuiert es. Und langweilt damit inzwischen selbst seine treuen Fans.

Jonathan, der Erzritter gegen die faschistischen Codes? An A.H., dem „süßesten Stofftier der Kunst” (Meese) könnte sich selbst das verknuddelte Grußarmmonster aus Hamburg-Ahrensburg noch ganz schön verheben.

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Ingo Arend
Autor und Kritiker
Ingo Arend, Politologe und Historiker, Autor, Kritiker und Juror für Bildende Kunst, Literatur und Politisches Feuilleton. Lange Kulturredakteur des "der freitag", 2007 bis 2009 sein Redaktionsleiter. Redakteursstationen bei taz und Deutschlandfunk Kultur. 2015-2023 Mitglied des Präsidiums der neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK). Spezialgebiet: Global Art, Kunst und Politik, Kunst und Geschichte, Kunst und Kultur der Türkei. Weblog: Ästhetik und Demokratie.
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5 Kommentare

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  • Y
    Yadgar

    Vielleicht liegt des daran, dass Meese (Jahrgang 1970) einfach zu jung ist, um das zu dürfen - sich bei Nazisymbolik bedienen, um dem selbstgefälligen Bildungsbürgertum mal schocktechnisch so richtig in die Eier zu treten, das durften und dürfen nur stalingra... äh, springerhausgehärtete 68er der ersten Stunde, maximal noch 1976er Original-Punks, aber doch nicht solche Jungspunde wie Jonathan Meese! Der Bart und die langen Haare helfen da übrigens überhaupt nicht, im Gegenteil, wenn etwas so richtig nach psychiatrischem Notfall (und nicht etwa nach gelungener Provokation) aussieht, dann sind das Hippies in Hitlerpose!

     

    Mein Vorschlag an Meese: irgendeine abgefahrene Sprache lernen (Georgisch, Buruschaski oder Gießener Gummiinsel-Masemattisch) und dann eine noch abgefahrenere Weird Folk-Band gründen, natürlich ausschließlich mit selbst entworfenen Instrumenten!

  • GG
    Genervter Gast

    Immer nur aburteilen langweilt auch eure treuesten Fans...

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Was auch immer von Jonathan Meese und seinen Performances zu halten ist:

    Was irgendwie wirklich verstört ist der Wirbel, den der Gebrauch irgendwelcher nationalsozialistischen Symbole verursachet und dass hier dem Staat und staatstragenden Kreisen durchaus Gegenmaßnahmen notwendig erscheinen, während andererseits Leute, die ziemlich unverhohlen zentrale Inhalte nationalsozialistischer Politik vertreten, es in höchste Ämter schaffen (http://www.zeit.de/online/2006/20/Schreiner/komplettansicht) und rassistisch motivierte Gewalt nach wie vor mehr oder weniger eine Alltagserscheinung ist.

  • D
    dagobert

    Es gäbe beim Herrn Heese sehr viel zu neutralisieren: Pubertät, Dummheit, Narzissmus, Ideologie, Artikulationsverwirrung,rechtsseitige Armsteifheit...

  • C
    c

    Wie auch immer das Urteil bei Meese am Ende ausfallen wird.

    Nebensätze so ganz allein sehen Scheiße aus, da wirkt die überschwängliche Verwendung von Fremdwörtern noch mehr gewollt als gekonnt. Spitzenartikel.