Kommentar Italiens Regierungskrise: Gar nicht so dramatisch

Die Verfassungsänderung in Italien galt als Entscheidung über die europäische Wirtschaft. Die Bevölkerung hat sie abgelehnt. Bisher ist nichts passiert.

Fassade des Palazzo Montecitorio in Rom, in dem die Abgeordnetenkammer sitzt

Eine Regierungs-, keine Staatskrise: Die Demokratie in Italien funktioniert auch weiterhin Foto: reuters

ROM taz | Was wurde nicht alles an Horrorszenarien aufgefahren vor Italiens Referendum über Renzis Verfassungsänderung. Bei einem Nein, so hieß es aus vielen Ecken, drohe die Bankenkrise aus dem Ruder zu laufen, sei mit einem Hochschießen der Zinsen auf Italiens Staatsanleihen zu rechnen, müsse man sich gar Sorgen machen um das Überleben des Euro.

Jetzt ist nicht bloß das Referendum gescheitert, auch die Regierung Renzi ist weg, und es passiert – erst einmal gar nichts. Der Aktienkurs ausgerechnet der am schwersten geschüttelten Krisenbank, des Monte dei Paschi di Siena, kletterte in den letzten Tagen, und der Spread – der Zinsabstand der italienischen zu den deutschen Staatsanleihen – liegt bei kaum Besorgnis erregenden 1,5 Prozent.

Das muss, trotz der vielen Unkenrufe rund ums Referendum, nicht weiter verwundern. Eine Regierungs- ist keine Staatskrise, und Italiens Demokratie funktioniert. Das haben die Wähler bewiesen, die am letzten Sonntag zu fast 70 Prozent zu den Urnen strömten.

Das beweisen auch die Institutionen: Mit der schnellen Verabschiedung des Staatshaushalts 2017 schuf der Senat die Voraussetzungen dafür, dass die Regierungskrise ohne größere Traumata über die Bühne gehen kann.

Für Traumata könnten jetzt allerdings die Parteien sorgen. Laut ertönt der Ruf nach sofortigen Neuwahlen. Eigentlich stünden sie jetzt an, schließlich hat keiner der letzten vier Ministerpräsidenten, die seit November 2011 regierten, je eine direkte Legitimierung durch die Wähler erhalten.

Eine sofortige Neuwahl wäre ein Blindflug ins Ungewisse

Auch Matteo Renzi nicht, der nicht einmal im Parlament sitzt, sondern im Februar 2014 direkt von seinem damaligen Job als Bürgermeister von Florenz auf den Posten des Regierungschefs wechselte.

Ohne ein neues Wahlgesetz für beide Kammern wäre die sofortige Neuwahl jedoch ein Blindflug ins Ungewisse. Ihr Ergebnis wäre dann in der Tat ein unregierbares Land. Und es verwunderte denn auch einigermaßen, dass ausgerechnet Renzi – der seine Verfassungsreform immer als Schritt zu mehr Stabilität verkaufte – sich in die Front derer einreihte, die die politische Destabilisierung des Landes in Kauf nehmen.

Gar nicht verwundert dagegen, dass Beppe Grillos Fünf Sterne jetzt plötzlich Neuwahlen mit einem Wahlrecht wollen, das sie bisher immer als undemokratisch gebrandmarkt haben. Es wäre wohl ihre einzige Chance, eine Mehrheit wenigstens im Abgeordnetenhaus zu erobern.

Beide Seiten müssen sich jetzt gedulden, da Staatspräsident Sergio Mattarella sich jeder Hauruck-Lösung verweigert. Italien und Europa bleibt damit eine überflüssige Dramatisierung der Krise erspart.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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