Kommentar Italien: Nach der Wahl ist vor der Wahl
Die Mehrheit in Italien ist es leid, dass ihre Regierungen nur Stabilitätskriterien zur Leitlinie ihrer Politik machen. Deshalb sind Neuwahlen richtig.
P ierluigi Bersani hat das Unmögliche versucht. Eine „Regierung des Wandels“ wollte er Italien bescheren, eine Regierung, die die Quadratur des Kreises bedeutet hätte. Denn obwohl numerisch schwach – im Senat hätte sie keine stabile Mehrheit gehabt –, sollte sie mit einem starken Programm des Umbaus antreten.
Doch in Italiens Politik blieb der Kreis rund. Fünf Wochen nach der Wahl steht das Land akkurat dort, wo es sich direkt nach der Schließung der Wahllokale befand: Mit drei einander blockierenden Minderheiten im Parlament hat es die Wahl zwischen einer schwachen Notstandsregierung und umgehenden Neuwahlen.
Das wäre nicht weiter tragisch – immer wieder sah Italien äußerst schwache Regierungen und lebte am Ende ganz gut damit. Gesteuert vom „Autopiloten“, könne das Land auch jetzt eigentlich unbesorgt weitermachen, meinte nach den Wahlen EZB-Präsident Mario Draghi.
ist Italien-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Rom.
Eine einigermaßen naive Hoffnung ist das angesichts der Eurokrise: Schon zieht der „Spread“ an, und wenn die Finanzmärkte erst einmal begriffen haben, dass Italien in eine Phase heftiger politischer Turbulenzen eingetreten ist, werden die Risikoaufschläge weiter klettern.
Es waren die Folgen der Eurokrise, die tiefe Rezession mit ihren kräftigen Wohlstandsverlusten, die zu dem Wutvotum und damit zum Patt im Parlament geführt haben. Die Mehrheit hatte die Nase voll davon, dass ihre Regierungen nur noch europäische Stabilitätskriterien als Leitlinie ihrer Politik hatten. Sie wollten eine Regierung, die ihren Interessen Gehör verschafft. Doch, bittere Ironie, sie werden ein Italien sehen, das instabiler ist als zuvor und das deshalb erst recht zum Spielball der Märkte wird. Klaglos allerdings werden die Italiener das nicht ertragen – das werden spätestens die nächsten Wahlen zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“