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Übrigens: Wer das geistlich-feudale Regime im Iran stoppen sollte, dürfte eigentlich klar sein. Diejenigen, die darunter zu leiden haben, müssten es tun. Noch werden die Regierenden von "vom Land und aus den Vorstädten zusammengekarrten [...] einfachen, jungen Männern" über Wasser gehalten, und von der Sorte gibt es offenbar reichlich im Iran. Gewiss auch, weil sich niemand (und erst recht kein linksintellektueller Besserwisser aus Europa) freiwillig mit ihnen befassen mag. So lange diese Kerle nicht erkennen, wer wirklich ihr Feind ist, wird es von Berlin, von Paris, von London oder von Washington aus scheinen, als wäre der geballte militärisch-politische Einsatz des sogenannten Westens unverzichtbar für die Rettung hübscher, gebildeter, junger und doch hilfloser iranischer Mädchen. Ein Schelm, wer "Steinzeit" dabei denkt!
Reform, oder nicht Reform das ist hier wohl die Frage.Die Realitäten in den Städten sind aber wohl mittlerweile ganz andere als einige der Mullahs annehmen. Wenn man geistige Macht mit dem Knüppel durchsetzen muss, dann hat man keine. Die Macht der Realität wird sich letztendlich immer durchsetzen. Und auf die Realität Mensch, bauen sie wohl nicht. Aber welche Religion tut das schon. Selbst im Christentum ist alles geregelt, die guten ins Kröpfchen und die schlechten ins Töpfchen. Alles klar, alles bleibt wie es war. Doch das ist nicht das Leben, es bedeutet Veränderung, es geht immer vorwärts und wenn jemand die Zeit zurückdrehen will, dann gibts Probleme.
Die Parteien der Mitte meinen, mit empathischer Kümmerergeste „das Ossi“ für sich gewinnen zu können. Sie sollten sie lieber zum Mitwirken auffordern.
Kommentar Iran: Die Revolution frisst ihre Enkel
Die Nachgeborenen laufen der iranischen Revolution in Scharen davon. Die Reaktionen der angeschlagenen Machthaber lassen Schlimmstes für Verschwundete und Verhaftete befürchten.
In diesen Tagen füllen sich im Iran die Gefängnisse. In den Kellern des Innenministeriums oder im Evin-Gefängnis werden die zu Tausenden Verhafteten gefoltert. Dort wurden schon zu Zeiten des Schahs die Menschen zu Tode gequält. Nur in viel geringerer Zahl als nach 1979 unter der islamistischen Diktatur.
Die Medien des Regimes sprechen nun von 645 Verhafteten. Man weiß, was das zu bedeuten hat. In den Achtzigerjahren wurden zehntausende Oppositionelle im Iran ermordet. Als Vorwand dienten zumeist nationalistische Verschwörungstheorien, die die Islamische Republik nach 1979 zusammenhielten. Deren Strahlkraft ist heute erloschen - Bush ist weg, Saddam ist weg, die Wirtschaft liegt danieder -, der Bruderkampf ist von daher schon seit längerem eröffnet. Mussawi, Chatami und die iranischen Massen fühlen sich weniger von Israel und Barack Obama bedroht oder hintergangen als von den eigenen religiös-politischen Machthabern.
Teheran gleicht in diesen Tagen einer belagerten Stadt. Die vom Land und aus den Vorstädten zusammengekarrten Basidschi, die paramilitärischen Garden, rekrutieren sich in der Masse aus einfachen, jungen Männern. Diesen steht symbolisch unübersehbar eine Vielzahl junger, städtischer Frauen gegenüber. Sie sind das sichtbarste Zeichen der Zeitenwende im Iran. Auch wenn die Islamisten sie noch einmal von der Straßen prügeln, ihre Zeit wird kommen. Der Revolution laufen die Nachgeborenen in Scharen davon.
Die panische Willkür und terroristische Grausamkeit, mit der die angeschlagenen Machthaber jetzt reagieren, lassen auf Schlimmstes für die jetzt Verschwundenen und Verhafteten schließen. Vor Mord und Folter sind auch Prominente nicht gefeit. Die vorübergehende Verhaftung der Tochter von Haschemi Rafsandschani war eine deutliche Warnung. An die Moral von Leuten wie Ahmadinedschad oder Ali Chamenei zu appellieren, ist da wenig vielversprechend. Sie sind es gewohnt, sich gewaltsam durchzusetzen. Es ist in ihren Augen ohnehin das Blut Minderwertiger, Ungläubiger, das fließt. Sie denken feudalistisch und stehen nun mit dem Rücken zur Wand.
Wer soll dieses Regime stoppen? Wie werden die anderen Geistlichen und die hinter Mussawi stehenden oppositionellen Machteliten nun reagieren? Werden sie sich mit der Bewegung und den Opfern weiterhin solidarisieren? Oder fürchten sie doch nichts mehr als den Weg aus der Islamischen Republik und die Transformation zu rechtsstaatlichen Verhältnissen?
Noch haben die Kräfte um Chamenei die organisierten und bewaffneten Repressionskräfte hinter sich. Und sie setzen rücksichtslos auf Terror, um die Opposition abzuwehren. Im In- und Ausland soll man gerade so viel davon erfahren, dass man weiß, dass blutige Tage angebrochen sind. Möglichst anonym und ohne Gesichter. Schauen wir genau hin und lassen wir sie damit nicht durchkommen.
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Kommentar von
Andreas Fanizadeh
Ressortleitung Kultur
Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Kulturpolitischer Chefkorrespondent der taz. Von Oktober 2007 bis August 2024 Leiter des Kulturressorts der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.