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Kommentar Internet-Enquete-KommissionFeigenblatt der Internet-Ausdrucker

Kommentar von Burkhard Schröder

Die Internet-Enquete-Kommission hat sich im Streit um Netzneutralität vertagt. Besser wäre gewesen, sie hätte sich ganz aufgelöst.

W as ist eine Internet-Enquete-Kommission und zu welchem Ende studieren wir, was da geredet wird? Dieses erlauchte Gremium besteht aus Leuten, die aus undurchsichtigen Gründen von den Parteien für sachverständig gehalten werden, um zu empfehlen, wie mit dem Internet zu verfahren sei.

Die sachverständigen Kommissionsmitglieder mussten aber noch weitere Sachverständige berufen. Nichts genaues weiß man nicht über das Internet, was in Deutschland wegen der hier grassierenden und durch die ausländische Presse bestätigten German Internet Angst nicht weiter verwundert.

Schade, dass Rosa Luxemburg Netzneutralität nicht kannte und Jürgen Habermas sich nicht dafür interessiert. Beide könnten erklären, warum die Enquete-Kommission sich bei diesem Thema zerstritt und die Abstimmung auf einen Sankt-Nimmerleinstag im September verschob.

Bild: privat

BURKHARD SCHRÖDER ist Schriftsteller, Journalist und Blogger.

Netzneutralität ist so etwas wie eine technische Verfassung den Netzes. Luxemburg definierte eine Verfassung als Waffenstillstandsvertrag im Klassenkampf. Die Kontrahenten sind sich zeitweilig einig, nicht gegeneinander Krieg zu führen. Die Regierungsparteien möchten das Internet durch den Markt regeln lassen: Die Großen fressen die Kleinen auf, und der Rest kommt ganz von selbst, bis alles in digitale Scherben fällt.

Die Opposition möchte in urdeutscher paternalistischer Tradition, dass der Staat ganz viele Gesetze macht und die im Netz herumschwirrenden Bits und Bytes in Regeln presst - eine Art Sozialstaat für Daten. Man warf sich gegenseitig Papier-Konvolute in der Größe der Buddenbrooks an die Köpfe und schmollte, wenn die Gegenseite sie nicht las.

"Kommunikative Chancengleichheit"

Die so genannte Netzgemeinde kam sogar auf die kühne Idee, der Regierung das Bekenntnis abringen zu wollen, auf Zensur ("Netzsperren") ganz zu verzichten. Schön, dass wir darüber geredet haben ("kommunikative Chancengleichheit"), würde Habermas einwerfen: Einen herrschaftsfreien Dialog über das Internet wird es im Kapitalismus so wenig geben wie "faire" Preise und Löhne oder Glück und Wohlstand für alle.

Die "Netzaktivisten" meinen es gut und irren: Man sitzt um Tische und wähnt sich wegen des auf sichtbare Hierarchien verzichtenden Mobiliars auf Augenhöhe mit den Entscheidern. Kommissionen sind dafür da, potenziell widerborstige Leute zu sedieren. Diese Kommission war und ist ein Feigenblatt der Internet-Ausdrucker in der Politik, und zu sagen hat sie auch nichts.

Zudem interessiert sich große Teile des Volkes nicht für Netzneutralität, sondern für gesellschaftlich relevante Dinge wie Fernsehen und Sport. Das war im alten Rom nicht anders: Die Masse ging ins Colosseum und nur wenige Spezialisten interessierten sich dafür, die Fußbodenheizung weiterzuentwickeln.

Habermas, das sei den gefühlt wichtigen Mitgliedern der Internet-Enquete-Kommission ins Stammbuch geschrieben, meinte, der einzelne Mensch sei nicht von sich aus zur Vernunft begabt. Löste sich dieses Gremium auf, niemand würde es vermissen.

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6 Kommentare

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  • H
    heini

    "Facebook-Parties müssen verboten werden"

    "Das Internet ist ein rechtsfreier Raum"

    "Kriminalität im Internet steigt drastisch an"

    "Kinderschänder verdienen im Internet Millionen"

    "Terroranschlag per E-Mail"

    und als Sahnehäubchen, weil draußen nur Kännchen: verpixelte Häuser in Streetviev!

     

    Wir und Angst... so ein Unsinn... wer soetwas sagt, gehört verklagt! Sowas absurdes aber auch.

     

    @Jojo

    "[...]und alle Menschen im Ausland wären total offen, angstfrei und völlig anders."

     

    Wo behauptet er das denn?

     

    Ausserdem:

    Wenn Du vor etwas Angst hast... sagen wir Autos... und jemand anderes aber noch viel mehr Angst vor Autos hat... darf man dann nicht sagen "Jojos Auto-Angst"?

     

    Und weil jemand anderes Angst vor Gott hat, darf ich nicht auf Deine Auto-Angst hinweisen?

     

    @ Veraltet

    Ich hab da mal was aktuelleres für Dich "recherchiert":

     

    http://www.sueddeutsche.de/digital/internet-und-gesellschaft-die-digitale-angst-der-deutschen-1.1089676

     

    http://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article13461472/Deutsche-haben-Angst-im-Internet.html

     

    http://verfassungsblog.de/die-angst-der-deutschen-vor-dem-internet/

     

    @ Hr. Meier

    Da halte ich es mit Burks: Wieso? Hat sich seit dem etwas geändert?

  • AE
    Al Easy

    Ich wundere mich, ob einer der bisher hier Kommentierenden den Artikel gelesen hat - sowohl den oben stehenden, als auch den verlinkten von - ja, richtig erkannt - 1998. Eine Bibliothek führt auch ältere Bücher, deren Wahrheitsgehalt durchaus angezweifelt werden darf, jedoch nicht minder interessant ist.

    Wo liegt denn bitte das Problem, wenn man einen Artikel verlinkt, der schon damals den offenkundigen Missionierungseifer unserer Politiker bloßstellt? Abgesehen davon, dass es auch dann nur Nebelkerzen waren - blinder Aktivismus um sich zu profilieren. Neues Beispiel aus der Kategorie gefällig? Ein Wort: Netzsperren.

    Gebracht hat es seitdem nichts (außer Ärger in den Kreisen, die sich mit der Materie ein wenig auskennen).

    Was sagt denn auch die Anzahl der Internetnutzer in Deutschland über die Qualifikationen der Entscheidungsträger aus? Zumal sich die Frage stellt, ob der Nutzer auch weiß, was er tut (geschweige denn, wie es denn funktioniert). Aufklärung ist angebracht, nicht Diffamierung.

    Ich empfehle allen, die sich hier echauffieren, den Artikel noch einmal mit ein wenig mehr Verständnis zu lesen. Danach sollten sie den Blog des Herrn Schröder besuchen, auf dem weiterführende Informationen zu finden und auch verlinkt sind.

     

    Beste Grüße

    Al

  • J
    jojo

    Diesen populistischen Schwachsinn von der angeblichen "german angst" in allen Bereichen kann ich echt nicht mehr hören. Da versuchen ständig immer wieder aufs Neue ein paar Meinungsmacher der Bevölkerung einzuureden, die Deutschen wären allesamt dumme Angsthasen und alle Menschen im Ausland wären total offen, angstfrei und völlig anders.

     

    Das das Schwachsinn ist, beweist auch hier mal wieder, dass man für die (nichtvorhandene!) "german angst" einen 10 Jahre alten Artikel eines Geeks als angeblichen "Beleg" vorbringt. Ja, super Leistung, sehr eindrucksvoll!

     

    Beispielsweise haben in den USA haben deutlich mehr Menschen Angst vor der Strafe Gottes, als in Deutschland - kommt jemand deswegen auf die Idee von einer typischen "USA-Angst" zu reden?

     

    Glaubt ihr ernsthaft im Ausland würde es nur mutige angstfreie Superhelden geben oder würde jeder 70-jährige das Internet besser verstehen? Geht jeder russische Opa offener mit dem Internt um, hat jeder griechischer Schafhirte etwa einen Internetanschluß? In Deutschland sind rund 3/4 der Bevölkerung online, vergleicht das mal mit anderen Ländern, dann werdet ihr sehen, dass es hunderte anderen Ländern gibt, die deutlich technikfeindlicher und "ängstliche" sind als wir.

  • BS
    Burkhard Schröder

    Wieso? Hat sich denn seitdem etwas geändert? :-)

  • MM
    Manfred Meier

    Der verlinkte Artikel von wired.com ist weit über 10 Jahre alt und damit ebenso überflüssig wie die Enquete-Kommission.

     

    Viele Grüsse

  • V
    Veraltet

    "der hier grassierenden und durch die ausländische Presse bestätigten German Internet Angst"

     

    Der hier verlinkte Artikel ist von 1998 ... hätte man da nicht was aktuelleres recherchieren können?