Kommentar Integrationsbericht: Zynisches Kalkül
Die Regierung hat einen Bericht über "die Lage der Ausländer" in Deutschland vorgestellt. Durch den altmodischen Titel macht sie ihr eigenes Versagen deutlich.
E s klingt wie ein Rückfall in die Steinzeit der Integrationsgeschichte, dass die Regierung einen Bericht über "die Lage der Ausländer" in Deutschland vorgestellt hat. Schließlich hatten sich ja auch die meisten CDU-Politiker angewöhnt, statt von Ausländern von "Menschen mit Migrationshintergrund" zu sprechen. So umständlich diese Wortschöpfung auch war: Sie drückte das Bemühen aus, jene Millionen Bürger nicht mehr auszugrenzen, die seit langem hier leben oder hier geboren wurden. Integration fängt eben auch damit an, wie man übereinander redet. Deshalb wirkt es irritierend, wenn nun wieder von "Ausländern" die Rede ist. Aber gerade das kann auch nützlich sein.
Lukas Wallraff (36) ist Redakteur im Hauptstadtbüro der taz.
Durch den altmodischen Titel ihres Berichts macht die Regierung ihr eigenes Versagen deutlich. Sie lenkt den Blick darauf, dass ein altes Problem nach wie vor besteht: Die Einbürgerung der Migranten und ihrer Kinder klappt nicht. Fast sieben Millionen Einwohner Deutschlands haben keinen deutschen Pass, formal sind sie also tatsächlich immer noch "Ausländer". Das ist bedauerlich. Die Integration einer Gesellschaft kann nur gelingen, wenn möglichst viele ganz dazu gehören - mit allen gesetzlichen Rechten und Pflichten. Dass da so viele immer noch außen vor bleiben, liegt nicht nur an der starken Verbundenheit vieler Migranten mit ihren Herkunftsländern, die von manchen Migrantenverbänden bewusst gepflegt wird. Es liegt auch an staatlicher Abschreckungspolitik.
Die Pläne der Union für verschärfte Einbürgerungstests sind ebenso hinderlich wie das Festhalten am Verbot der doppelten Staatsangehörigkeit. Doch dahinter steckt zynisches Kalkül. Unter den hier lebenden Ausländern gibt es überdurchschnittlich viele Arbeitslose. Dafür ist auch das von der CDU favorisierte gegliederte Schulsystem verantwortlich, in dem Kinder aus sozial schwachen Migrantenfamilien erwiesenermaßen schlechte Chancen haben. Hätten nun alle Opfer dieser Bildungspolitik einen deutschen Pass, könnten sie auch wählen. Und daran hat die Union gar kein Interesse. Insofern ist ihre Rückkehr zum Begriff "Ausländer" erfrischend ehrlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann