Kommentar Inklusion an Gymnasien: Dann eben langsamer lernen
Am Gymnasium haben geistig behinderte Kinder mehr Chancen als an einer Förderschule. Sie profitieren von dem für sie hohen Niveau des Unterrichts.
K önnen Kinder mit Förderbedarf im Bereich geistige Entwicklung an einem Gymnasium lernen? Es geht ganz gut, wie schon vor zehn Jahren ein Bad Segeberger Gymnasium zeigte. Die Schule war bereit, die damals „I-Kinder“ genannten Schülern aus der Nachbarschaft zu nehmen. Latein und Englisch gab es getrennt, andere Fächer zusammen, sogar Mathe, dank Individualisierung für das Team aus Lehrern, Sonderpädagogen und Schulbegleitung kein Problem.
Am Gymnasium haben die Kinder mehr Chancen als an einer Förderschule, erklärte ein Lehrer gegenüber der taz. Sie profitierten enorm davon, dass der Unterricht auf einem für sie hohen Niveau ablaufe.
Bremen 2018. Inklusion steht seit 2011 im Schulgesetz. Alle 33 Oberschulen und auch zwei der acht Gymnasien nehmen Kinder auf, die „zieldifferent“ unterrichtet werden. Sprich: Jedes Kind lernt bis zu dem für ihn möglichen Abschluss. Doch eine Schulleiterin remonstriert, und als das nichts nützt, zieht sie vor Gericht, mit dem Argument, ihre Schule sei die, bei der es schnell zum Abi gehe.
Die Schulleiterin will die Kinder mit Förderbedarf in Wahrnehmung und Entwicklung nicht aufnehmen. Nicht, weil der Vorlauf fehle. Seit der Bremer Schulgesetzänderung sind einige Jahre um. Es gibt immer ein Jetzt. Die Kinder sind da. Fast alle separaten Förderschulen wurden in Bremen abgebaut, weil Eltern ihre Kinder an ihren Wunschschulen anmelden.
Die Oberschulen machen Inklusion mit. Doch auch sie führen Schülern zum Abitur, nicht in acht, sondern in neun Jahren. Nüchtern betrachtet zählt also das Turbo-Abi als einziger Trumpf gegen die Inklusion. Da kann man nur sagen: dann eben langsamer lernen! So unverzichtbar ist das G8 nicht, wie Schleswig-Holstein zeigt.
Gewiss berechtigt ist Kritik an der kurzen Vorbereitung. Doch der Gang vor Gericht hat den Fall bundesweit publik gemacht und Kindern geschadet. Jetzt gilt es, eine gute Lösung zu finden. Die Segeberger Mitschüler hatten übrigens keine Angst, dass sie wegen der I-Kinder weniger lernen. Nur in Sport waren sie die letzten. Aber das war ihnen egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter