Kommentar Immobilienlobby: Mieter aus dem Blick verloren
Dass der Berliner Verband der Immobilienunternehmen vor dem Enteignungsvolksbegehren warnt, wundert nicht. Wohl aber, wie.
Als am Mittwoch das vom Wohnungsunternehmen-Verband BBU in Auftrag gegebene Gutachten des Verfassungsrechtlers Helge Sodan zum Volksbegehren über die Enteignung von Immobilienkonzernen vorgestellt wurde, malten sowohl Sodan selbst als auch die BBU-Vorsitzende Maren Kern kräftig mit den ganz düsteren Farben: Es gehe um die „Grundlagen des Eigentumsrechts“, warnte Kern. Sodan sah gar das gesamte Wirtschaftssystem bedroht, das „70 Jahre lang für Wohlstand in der Bundesrepublik gesorgt“ habe.
Denjenigen Unterstützern des Volksbegehrens, die sich davon nicht nur eine Dämpfung des Mietenanstiegs in Berlin erhoffen, sondern tatsächlich auch eine grundsätzlich antikapitalistische Haltung zum Ausdruck bringen wollen, spielen ihre Gegner mit einer so aufgeladenen Rhetorik nur in die Hände. Aber auch davon abgesehen geht sie am Kern der Sache vorbei: Dass die Forderung nach Enteignung von Wohnungsunternehmen in bisherigen Umfragen von einer Mehrheit der BerlinerInnen unterstützt wird, dass diese Unterstützung über die üblicherweise verdächtigen politischen Lager hinausgeht, das sollte dem BBU eigentlich zu denken geben.
Denn wenn selbst ein eigentlich so negativ belasteter Begriff wie Enteignung solche Zustimmungswerte erfährt, dann kann das nur als Zeichen dafür gedeutet werden, dass die Berliner wenig Hoffnungen in sonstige Maßnahmen für erschwingliche Mietwohnungen setzen – also auch in die vom BBU seit Jahren propagierte Strategie, man müsse es den privaten Immobilienkonzernen nur so einfach wie möglich machen, dann würden diese durch Neubau das Mietenproblem schon lösen. Da nützt auch die drastischste Schwarzmalerei nichts.
Wenn der BBU warnt, das Volksbegehren werde zu einer Abkehr privater Immobilienkonzerne vom Berliner Wohnungsmarkt führen, so wird das in den Ohren vieler Berliner nicht wie eine Drohung, sondern wie ein Versprechen klingen. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die unzählige Mieter hier seit Jahren nicht nur mit der Deutschen Wohnen machen, sondern auch mit Akelius und Vonovia, mit Taekker oder GMRE und wie die unbeliebten Unternehmen noch alle heißen.
Möglicherweise hat der BBU, der eigentlich nicht nur die privaten, sondern auch die öffentlichen und genossenschaftlichen Unternehmen vertreten soll, über seine Lobbyarbeit in den letzten Jahren die Mieter selbst aus dem Blick verloren – diesen Kurs gälte es nun schleunigst zu korrigieren.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird