Kommentar Imame-Überwachung: Geistliche zweiter Klasse
Während christliche Geistliche häufig vor den zunehmenden Ermittlungsbefugnissen der Polizei besonders geschützt werden, profitieren muslimische Geistliche davon nicht.
Der Skandal ist alt, aber für viele doch überraschend. Das Gespräch mit einem muslimischen Imam ist in Deutschland weit weniger geschützt als eine Unterredung mit einem katholischen Priester, evangelischen Pfarrer oder jüdischen Rabbi. Und die Diskriminierung wird immer relevanter: Während christliche Geistliche häufig vor den zunehmenden Ermittlungsbefugnissen der Polizei besonders geschützt werden, profitieren muslimische Geistliche davon nicht.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
Der Grund ist ganz formal: Weil der Islam nicht als Kirche organisiert ist, hat er Schwierigkeiten, sich als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkennen zu lassen. Und nur die Geistlichen von solchen staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften werden in der Strafprozessordnung und ähnlichen Gesetzen nach herrschender Auslegung besonders geschützt.
Dieser Ansatz ist falsch. Der Schutz der Geistlichen dient schließlich nicht der Religionsgemeinschaft, sondern dem Gläubigen. Er soll in einem vertraulichen Gespräch sein Gewissen erleichtern können. Er soll sich in schwierigen Lebenslagen Rat holen können in der Gewissheit, dass von diesem Gespräch außer dem Geistlichen niemand etwas mitbekommt. Diese Vertrauensbeziehung der Gläubigen zu ihren Geistlichen ist durch das Grundgesetz geschützt. Die Religionsfreiheit gilt für alle Gläubigen, ganz unabhängig von der staatlichen Anerkennung ihrer Strukturen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass es im Islam keine Beichte mit Vergebung der Sünden gibt. Die Strafprozessordnung nimmt bewusst nicht auf bestimmte kirchliche Formen Bezug, sondern erfasst alle Arten des seelsorgerischen Gesprächs.
Außerdem können Geistliche, die selbst Kriminelle oder Terroristen sind, durchaus überwacht werden. Wenn sie in Straftaten verstrickt sind, gilt kein Überwachungsschutz. Dieser dient nur dem Gläubigen, der im Gespräch mit dem Seelsorger eben auch offen über möglicherweise strafbares Handeln sprechen können muss.
Der Gesetzgeber sollte deshalb schleunigst klarstellen, dass die Polizei Gespräche mit Imamen ebenso zu respektieren hat wie die mit christlichen Pfarrern. CHRISTIAN RATH
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