Kommentar Imame-Überwachung: Geistliche zweiter Klasse
Während christliche Geistliche häufig vor den zunehmenden Ermittlungsbefugnissen der Polizei besonders geschützt werden, profitieren muslimische Geistliche davon nicht.
Der Skandal ist alt, aber für viele doch überraschend. Das Gespräch mit einem muslimischen Imam ist in Deutschland weit weniger geschützt als eine Unterredung mit einem katholischen Priester, evangelischen Pfarrer oder jüdischen Rabbi. Und die Diskriminierung wird immer relevanter: Während christliche Geistliche häufig vor den zunehmenden Ermittlungsbefugnissen der Polizei besonders geschützt werden, profitieren muslimische Geistliche davon nicht.
Der Grund ist ganz formal: Weil der Islam nicht als Kirche organisiert ist, hat er Schwierigkeiten, sich als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkennen zu lassen. Und nur die Geistlichen von solchen staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften werden in der Strafprozessordnung und ähnlichen Gesetzen nach herrschender Auslegung besonders geschützt.
Dieser Ansatz ist falsch. Der Schutz der Geistlichen dient schließlich nicht der Religionsgemeinschaft, sondern dem Gläubigen. Er soll in einem vertraulichen Gespräch sein Gewissen erleichtern können. Er soll sich in schwierigen Lebenslagen Rat holen können in der Gewissheit, dass von diesem Gespräch außer dem Geistlichen niemand etwas mitbekommt. Diese Vertrauensbeziehung der Gläubigen zu ihren Geistlichen ist durch das Grundgesetz geschützt. Die Religionsfreiheit gilt für alle Gläubigen, ganz unabhängig von der staatlichen Anerkennung ihrer Strukturen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass es im Islam keine Beichte mit Vergebung der Sünden gibt. Die Strafprozessordnung nimmt bewusst nicht auf bestimmte kirchliche Formen Bezug, sondern erfasst alle Arten des seelsorgerischen Gesprächs.
Außerdem können Geistliche, die selbst Kriminelle oder Terroristen sind, durchaus überwacht werden. Wenn sie in Straftaten verstrickt sind, gilt kein Überwachungsschutz. Dieser dient nur dem Gläubigen, der im Gespräch mit dem Seelsorger eben auch offen über möglicherweise strafbares Handeln sprechen können muss.
Der Gesetzgeber sollte deshalb schleunigst klarstellen, dass die Polizei Gespräche mit Imamen ebenso zu respektieren hat wie die mit christlichen Pfarrern. CHRISTIAN RATH
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme