Kommentar Hungerstreiks Indien: Noch ein Erbe Gandhis
In Indien können Hungerstreiks mit einer gewissen Sympathie in der Öffentlichkeit rechnen. Sie kommen häufig vor - leider viel zu häufig.
M ahatma Gandhi hatte mit Hungerstreiks Millionen von Indern gegen die britische Kolonialmacht mobilisiert. Diese fürchtete zu Recht einen Volksaufstand, sollte ihm etwas zustoßen.
Auf Gandhi berufen sich heute sowohl die regierende Congress-Partei als auch Aktivisten wie Anna Hazare, der jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Hungerstreik begann.
Die Verweigerung der Nahrungsaufnahme ist Gewalt gegen sich selbst. Sie gilt als letztes Mittel in einem ungleichen Kampf und ist eine Kommunikationsstrategie. Nur wenn die Öffentlichkeit von der Nahrungsverweigerung erfährt und sensibel reagiert, kann die politische Botschaft lanciert werden.
ist Auslandsredakteur der taz.
Verweigern etwa in einem Arbeitslager in China oder im US-Lager Guantánamo auf Kuba Gefangene die Nahrung, dringt davon so gut wie nichts nach draußen. Hungerstreikende werden dort eher sterben oder zwangsernährt, als dass sie bekannt werden. Diese Protestform ist dort deshalb erfolglos.
Ganz anders in Indien: Hier sind Hungerstreiks häufig und können auf eine gewisse Sympathie der Öffentlichkeit zählen. Das hat mit dem Erbe Gandhis zu tun, aber auch mit den relativ demokratischen Strukturen und den annähernd freien Medien.
Nur bei der seit elf Jahren immer wieder im Hungerstreik befindlichen oder zwangsernährten Irom Chanu Sharmila gelingt es der Regierung, die Menschenrechtlerin weitgehend von der Öffentlichkeit abzuschirmen.
Und der jetzt hungerstreikende Hazare? Er mag edle Motive haben, doch das von ihm gewählte Mittel ist überzogen. Wer politische Reformen will, sollte keine auf Einzelpersonen fixierten Kampagnen machen.
Generell gilt: Der inflationäre Gebrauch dieser angedrohten Selbsttötungen führt entweder zur Unregierbarkeit oder zu unmenschlicher Gefühlskälte.
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