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Kommentar Honorarreform-ProtesteÄrzte gegen Ärzte

Matthias Lohre
Kommentar von Matthias Lohre

Die Honorarreform ist für manche Praxen eine Katastrophe, für andere ein Segen. Das ist teils sinnvoll - spaltet aber die Ärzteschaft und bringt die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Not.

Überschaubar sieht die Frontlinie dieses Konflikts auf den ersten Blick aus: Auf der einen Seite stehen Haus- und Fachärzte. Sie fordern über eine Milliarde Euro mehr, obwohl sie erst vor wenigen Monaten gewaltige Honorarzuwächse erzwungen haben. Ihnen trotzen die Krankenkassen und eine Gesundheitsministerin, die sich als Anwälte der Versicherten anpreisen. Sie wollen nicht noch mehr Geld herausrücken. Doch so einfach ist es bei diesem Streit nicht. In diesem Kampf stehen nicht nur Ärzte gegen Krankenkassen, sondern auch Ärzte gegen Ärzte.

Erstaunlich schweigsam sind derzeit die Gewinner der jüngsten Reformen. Das sind vor allem die niedergelassenen Mediziner in Ostdeutschland. Sie haben im Schnitt weniger Privatpatienten und mehr chronisch Kranke. Letzteres war bis vor kurzem ein Nachteil, heute ist es ein Vorteil. Ein Hausarzt in Mecklenburg-Vorpommern mit vielen Kassenpatienten verdient jetzt mehr als bisher, ein Radiologe in München eventuell weniger. Dieses Ergebnis ist durchaus sinnvoll - kann es doch dazu beitragen, dass mehr gute Mediziner sich zutrauen, eine Hausarztpraxis zu führen. Die Einkommenskluft zwischen Fach- und Allgemeinärzten wollte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt verkleinern, und das ist mit der Honorarreform gelungen. Weil niemand ernsthaft am Nutzen dieser Neuerung zweifelt, bekämpfen die verlierenden Ärzte die Reform auch nicht auf offener Bühne. Stattdessen richten sie das Feuer gegen Regierung und Kassen. Denn wenn es von dort mehr Geld gibt, sind Differenzen mit den Kollegen nicht nötig.

Doch der zentrale Konflikt müsste in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung stattfinden. Sie hat die Honorarreform vor Jahren zu ihrem Lieblingsprojekt gemacht - und die Gesundheitsministerin ließ sie gewähren. Nun fällt den Architekten des neuen Verteilungssystems ihre Entscheidung auf die Füße. Der Schaden für die Funktionäre kann gravierend werden. Sie müssen einen Weg finden, damit gut verdienende Fachärzte und mäßig kassierende Hausärzte die Kassenärztliche Vereinigung weiter als Interessenvertretung verstehen. Wie ihnen das gelingen kann, wissen die Funktionäre wohl zurzeit selbst nicht.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.
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3 Kommentare

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  • WH
    Werner Harmuth

    Ich bin seit Anfang diesen Jahres niedergelassener Rheumatologe in Oberfranken, keine Boomregion, aber in Bayern.

    Die Medien sind klar ärztefeindlich. En vogue halt, leider auch die TAZ.

    Wenn ich ehrlich, mir fehlen angesichts der "Reform" einfach die Worte. Ich will nicht wie ein Geschäftsmann jammern, will auch keinen Mercedes oder ähnliches.

    Keiner redet über Lauterbach und seinen Posten im Aufsichtsrat im Rhönklinikum, über die gewollte Übernahme der medizinischen Versorgung durch ca. 5 Klinikonzern in naher Zukunft.

    Ich war lange Zeit im Krankenhaus beschäftigt, wollte einfach weg aus der Regulierungswut und Ökonomisierung der med. Behandlung. Man entkommt ihr nicht.

    Wer glaubt denn, was danach passiert, wer letzten Endes die wirklichen Nachteile hat - der Patient!

    Aber Polemisieren gegen die Ärzte ist erst einmal ein guter Anfang, weil wir machen es ja nur für Geld.

    Das ist Deutschland, alles gründlich, ohne Verstand, aber Häme.

    Ich vermisse wirklich eine ausgewogene Berichterstattung, der SPIEGEL macht es vor, und die TAZ nach.

    Ich will meinen Berufsstand nicht in allen verteidigen, aber Stillhalten ist jetzt auch nicht hilfreich.

    Ich kann der TAZ nur anbieten, mich in der Provinz mal zu besuchen und "Einblick" in meine Arbeit und Einkünfte zu bekommen.

    Ich habe nichts zu verbergen.

  • DG
    Dr.Thomas Goliasch

    Niedergelassene Ärzte erhalten Öffentlichkeit, damit auch die kranken Menschen und Politik.Immerhin erreicht nun auch die öffentlichkeit, daß der häufig zitierte Herr Lauterbach doch durchsetzen konnte, was auf direktem Wege nicht möglich war, daß die meisten niedergelassenen Ärzte das System der gesetzlichen

    Kassen mit Ihrem Ersparten mit einem erheblichen Beitrag subventionieren.Eine dergestaltige "kalte" Besteuerung isoliert für eine Berufgruppe ist ein novum.

  • H
    Hallo?

    Ziemlich gut auf den Punkt gebracht.

    Wie jeder im Statistischen Jahrbuch für 2008 (Tabelle 23.8.2) nachlesen kann, haben die 126.318 niedergelassenen Ärzte (in freien Berufen) durchschnittlich im Jahr 96.411 Euro Einkommen gehabt (das sind mehr als 8.000 Euro im Monat und zwar schon nach Abzug der Betriebsausgaben). Dieser Betrag wird nur von wenigen Freiberuflern getoppt: Zahnärzte (43.217 Personen) - 109.560 Euro; Patentanwälte (1.254 Personen) - 118.003 Euro und Notare (1.878 Personen) - 150.752 Euro.

    Die 24.914 freiberuflichen Steuerberater beispielsweise erzielen "nur" 69.020 Euro (mehr als 28% weniger). Und die einfachen Rechtsanwälte ohne Notariat kommen auf 59.437 Euro im Jahr.

     

    Wie es die Ärzte trotzdem immer noch schaffen den Leuten einzureden, dass sie in Massen am Hungertuch nagen, will mir einfach nicht in den Kopf.

    Wohl gemerkt. Das betrifft alles nur den Durchschnitt und besagt nicht, dass es eben - wie im Kommentar dargestellt - bei einzelnen Ärzten wirklich um die Existenz geht.

    Das Jahrbuch gibts übrigens bei www.destatis.de/shop zum runterladen.