Kommentar Heiligsprechung: Zwei seltsame Heilige
Mit der Heiligsprechung von Johannes XXIII und Johannes Paul II sichert Papst Franziskus seinen Reformkurs in der katholischen Kirche.
M an kann die katholische Magie der Heiligenverehrung ablehnen, aber Millionen von Menschen blickten gestern zur Heiligsprechung der ehemaligen Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. nach Rom. Und Papst Franziskus nutzte die Gelegenheit, seinen Reformkurs kirchenpolitisch abzusichern. Denn mit den beiden einflussreichsten Kirchenführern des 20. Jahrhunderts ehrte er zwei seltsame Heilige.
Beide polarisieren die Gläubigen, weil sie für verschiedene Konzepte von Kirche stehen: Johannes XXIII. öffnete die Kirche zur Welt, lobte die Freiheit des Gewissens, ging auf die einfachen Menschen und die „Ungläubigen“ zu. Johannes Paul II., als Karol Wojtyla der erste Pole auf dem Stuhl Petri, bekämpfte diesen Geist des Konzils ebenso inbrünstig wie den „gottlosen Kommunismus“, festigte eine hierarchische Kirche und formte eine Generation von angstvollen Klerikern, unter der die Kirche heute noch leidet.
Beide Oberhirten waren Charismatiker und sind längst katholische Superstars. Kaum verwunderlich, denn Rom vereint oft totale Gegensätze, ehrt Kriegstreiber ebenso wie Friedensapostel. Diese beiden Antipoden des 20. Jahrhunderts aber auf einen Schlag zu ehren zeugt von taktischer Weitsicht bei Franziskus. Seine „Kirche der Armen“ und seine ostentative Demut sind nahe beim Reformpapst Johannes XXIII.
Aber mit der Ehrung von Johannes Paul II. verbeugt er sich vor den Konservativen, die seit seinem Amtsantritt mit den Zähnen knirschen. Und er reklamiert deren Hauptthema „Familienpolitik“ kurzerhand für sich – wenn auch völlig anders. Denn was da der Wille Gottes sein soll, hat Johannes Paul II. noch dekretiert. Franziskus dagegen fragt die Gläubigen nach ihrer Meinung. Solange er diesen Kurs durchhält, schadet es auch nicht, wenn vor Wojtylas Heiligenbild ein paar Kerzen brennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten