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Kommentar Heiligendamm-UrteilDemo-Hilfe aus Straßburg

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Polizei und Gerichte werden es sich demnächst überlegen, ob sie einen politischen Slogan mit der Absicht gleichsetzen, Straftaten zu begehen.

D as Urteil des Europäischen Menschenrechtgerichtshofs zum G8-Gipfelprotest in Heiligendamm ist eine Blamage für die Sicherheits- und Justizbehörden, keine Frage. Man kann nicht einfach junge Leute tagelang wegsperren, weil sie Transparente mit interpretationswürdigen Demo-Sprüchen dabei haben.

Polizei und Gerichte werden es sich demnächst überlegen, ob sie einen politischen Slogan mit der Absicht gleichsetzen, Straftaten zu begehen.

Doch wirft das Urteil aus Straßburg auch ein neues Licht auf deutsche Protest-Gewohnheiten. Die Castor-Festspiele haben jüngst gezeigt, dass eingeübte Demonstrationsformen selbst dann noch unter Kontrolle sind, wenn sie angeblich eskalieren. Zwar kommt es im Wendland regelmäßig auch zu unschönen Konfrontationen von Aktivisten und Polizei.

Bild: privat
ULRIKE WINKELMANN

ist Co-Leiterin des Inland-Ressorts der taz.

Doch wissen fast alle Demonstranten genau, wieviel Provokation noch so gerade geduldet wird. Grenzüberschreitungen sind sauber inszeniert, Ingewahrsamnahmen Teil des Spiels, juristische Folgen einkalkuliert.

Dass der Staat den Castor ins Lager schaffen und sein Gewaltmonopol durchsetzen muss, versteht dabei nahezu jeder. Es ist ja die notwendige Voraussetzung des beliebten Rituals.

Doch war der G8-Gipfel für die Behörden eine Überforderung: Während die Beamten beim Castor-Protest geradezu Zärtlichkeit an den Tag legen, wenn Mensch und Gleis getrennt werden müssen, kannte der Einsatz rings um Heiligendamm nur den rüden Durchgriff. Während sich im Wendland Demonstrantin und Polizistin müde, verfroren und beinahe solidarisch angucken, flog überm Strand der Tornado-Aufklärer.

Heiligendamm hat gezeigt, wie sehr die Meinungsfreiheit in Deutschland davon abhängt, dass die Behörden denken, sie kennen ihre Pappenheimer. Landet beim G8-Gipfel die Welt an der Ostseeküste, müssen zum - nachträglichen - Schutz des Demonstrationsrechts leider europäische Gerichte bemüht werden.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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6 Kommentare

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  • I
    Infiltrator

    Das Gewaltmonopol des Staates geht mir am Allerwertesten vorbei.

     

    Aber sowas von.

  • E
    ebse

    Das Motiv der Polizei-Härte in Heiligendamm ist für mich glasklar:

     

    Es ging ausschließlich darum, die MEGA-EGOs der sogenannten Welt-Politiker zu befriedigen. Im Sinne von: wir sind etwas derart Besonderes, da muss die ganze Staatsmacht her. Und wir dürfen uns auch Überschreitungen erlauben, so wichtig und schützenswert sind wir.

     

    A.---öcher waren's und sind's in meinen Augen.

    Und sonst nix.

  • HV
    Herr von Wegen

    Der Grundaussage des Artikels mag man wohl zustimmen können.

     

    Die Gangart in Heiligendamm war sicherlich eine ganze Nummer ruppiger. Doch wird die Verharmlosung der Polizeihandlungen im Wendland in nahezu allen Medien dem tatsächlichen Geschehen bei weitem nicht gerecht.

     

    Auch dort wurde geprügelt,auch dort wurden unverhältnismäßige Mittel eingesetzt und oft unschuldige Menschen angegriffen und verletzt, sei es mit Pfeffer, durch (stümperhaften) Pferdeeinsatz oder per Gummiknüppel. Ältere TeilnemerInnen, Presse und Abgeordnetenwatch nicht ausgenommen.

     

    Dass hierbei die Grenzen des Rechts immer wieder auch bewusst überschritten wurden zeigt also nicht nur der illegale Kessel in Harlingen.

     

    Man sollte die Augen nicht zu sehr verschließen, es gibt da noch einiges mehr, was nicht Recht ist.

     

    Gruß,

    R. von Wegen

  • SJ
    Stefan Jahn

    "Während die Beamten beim Castor-Protest geradezu Zärtlichkeit an den Tag legen,(...)"

     

    Frau Winkelmann,bevor sie das nächste Mal so einen Unsinn schreiben wollen, begeben sie sich doch bitte vorher ins Wendland (oder lesen zumindest den TAZ-Ticker). Von Pferden niedergetrampelte, von Schlagstöcken, Faustschlägen und Pfefferspray verletzte Demonstranten, über 300 an der Zahl- "Zärtlichkeit" sieht anders aus...

  • J
    johannes

    nun ja, zärtlich nenne ich was anderes.

    ich denke, frau winkelmann hat die berichte zu den von ihr so genannten castor-"festspielen" in der taz nicht aufmerksam genug studiert.

    vielmehr fragen wir uns seit jahren, ob und welchen anteil an den "autonomen aggressionen" agents provocateurs der polizei haben, also diejenigen zur zeit ja zumindest auf der rechten seite ziemlich reichlich vorhanden zu sein scheinen.

    warum sollte die polizei nur auf der, ihr ja traditionell ungefährlicher erscheinenden rechten seite spitzel installieren?

    da hat die polizei jedenfalls immer einen guten grund, hart durchzugreifen. jeder spiessbürger sieht das sofort ein.

    ob daran das urteil des EGMR daran was ändern wird?

  • V
    vic

    Schön, dass deutscher Behördenwillkür jetzt erstmal eine Absage erteilt wurde. Jetzt warte ich jedoch auf eine entsprechende Reaktion des Gerichtshofs auf die unverhältnismäßige Show of force der Bundeswehr im Auftrag Merkels.