Kommentar Häuserkampf in Berlin: Was zählt, ist die Show
Anders als bei den Krawallen der 80er und 90er geht es im Fall der Rigaer 94 „bloß“ um ein Haus. Doch Linke und Politiker brauchen ein solches Symbol.
E s rumst mal wieder in Berlin. In der Hauptstadt gehen Schaufenster zu Bruch, ein paar Autos werden angezündet, Politikerbüros mit Parolen beschmiert. Tausende Linksradikale in modischem Szeneschwarz demonstrieren durch ein nächtliches Partyviertel, die Polizei teilt auch ordentlich aus, es gibt Verletzte auf beiden Seiten. Der Boulevard schreibt von Terrornächten.
Typisch Berlin? Ja, typisch Berlin. Die Hauptstadt spielt mal wieder Häuserkampf. Fast so wie damals zu Beginn der 80er und 90er Jahre, als binnen weniger Monate jeweils weit über 100 Häuser besetzt wurden. Die Betonung liegt auf „fast“. Denn diesmal geht es um nur ein Haus in der Rigaer Straße. Genauer gesagt: ein Hinterhaus. Und das ist nicht einmal besetzt. Das war es mal. Vor 25 Jahren. Seither gab es Mietverträge. Das einzige Problem daran: Die Verträge wurden seither nie angepasst, obwohl Bewohner wie Besitzer mehrfach gewechselt haben. Aber solche Details interessieren kaum, die stören ja nur die Show. Und darum geht es.
Da ist zum einen die linksradikale Szene, die sich freuen kann, mit der Rigaer 94 mal wieder ein Symbol im Kampf ums große Ganze zu haben, das konkret gegen Gentrifizierung, Kapitalismus, Spekulanten und Polizei verteidigt werden kann.
Und da ist zum anderen der Berliner Innensenator Frank Henkel. Der ist im Nebenjob auch CDU-Spitzenkandidat für die Berlinwahl im September und hat mit der Rigaer 94 ebenfalls sein Symbol für den Kampf ums große Ganze gefunden. Denn Berlin hat zwar längst die höchste Polizeidichte aller Bundesländer, und die Zahl der Gewalttaten ist in den letzten Jahren gesunken. Aber wenn Radikalinskis Autos anzünden, kann er sich als starker Mann präsentieren, der für die weitere Aufrüstung der Polizei sorgt.
Den Stimmenfang mit Polizeitruppen hat Henkel nicht exklusiv. Vor fünf Jahren gab es exakt das gleiche Eskalationsschauspiel. Die einst besetzte Liebigstraße 14 wird zum Terrornest hochgejazzt und geräumt – kurz vor der anstehenden Wahl. Nur dass der damalige Innensenator von der SPD gestellt wurde.
Die erinnert sich heute an das probate Lösungsmittel der 80er und 90er Jahre und fordert Gespräche mit allen Beteiligten. Das hat immer ganz gut funktioniert – außer wenn Hardcore-Nichtverhandler auf der letzten Schlacht bestehen wollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen