Kommentar Gutachten der Wirtschaftsweisen: Ein Schwenk zur Vernunft
Die Wirtschaftsweisen lehnen Eurobonds nicht mehr grundsätzlich ab. Damit erkennen sie endlich an, dass es eine gemeinschaftliche Haftung im Euroraum geben muss.
S o schnell kann es gehen. Hatten die sogenannten Wirtschaftsweisen bisher jede gemeinschaftliche Haftung für europäische Staatsschulden entschieden abgelehnt, sind sie in ihrem neuen Gutachten auf einmal dafür. Zwar betonen sie, dass der von ihnen vorgeschlagene "Stabilisierungsfonds" etwas völlig anderes sei als die umstrittenen Eurobonds.
Doch faktisch handelt es sich um eine Variante davon, genauer gesagt um zeitlich und mengenmäßig begrenzte Eurobonds, deren Vergabe an strenge Bedingungen geknüpft ist. Damit sind die mehrheitlich konservativen Wissenschaftler in einer zentralen Frage auf den Kurs ihres linken Mitglieds Peter Bofinger eingeschwenkt.
Auch wenn die Bedingungen im Detail teilweise fragwürdig sein mögen, vollziehen die Wirtschaftsweisen mit ihrem Vorstoß insgesamt einen Schwenk in Richtung Vernunft. Sie erkennen damit an, dass die bisherigen Beschlüsse zur Stabilisierung des Euroraumes vermutlich nicht ausreichen.
ist Parlamentskorrespondent der taz.
Sie räumen ein, dass es zumindest in einem gewissen Umfang eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden geben muss, wenn die Währung nicht auseinanderbrechen soll. Und sie präsentieren einen Vorschlag, der realistische Chancen auf eine Umsetzung hat.
Denn die Hauptkritik, dass eine gemeinschaftliche Haftung zu unbegrenzten Ausgaben führt, wird durch die Bedingungen entkräftet, zu denen eine Schuldenbremse und eine zweckgebundene Sondersteuer gehören. Und den Beschränkungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, wird durch die zeitliche und mengenmäßige Begrenzung eines solchen Fonds Rechnung getragen.
Zwar hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Übergabe des Gutachtens sofort ablehnend auf den Vorschlag reagiert - die Reflexe gegen alles, was an Eurobonds erinnert, funktionieren. Aber ebenso wie die Wirtschaftsweisen wird sie ihre Meinung noch ändern. Denn auf Dauer lässt sich die Realität nicht ignorieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“