Kommentar Guantánamo-Insasse: Verrohung der Sitten
Es ist gut, dass erstmals ein Guantánamo-Häftling vor einem Zivilprozess stand. Die "Krieger gegen den Terror" sehen ein Argument für den Beibehalt von Guantánamo.
E rstmals hat ein ziviles Gericht in den USA ein Urteil über einen ehemaligen Guantánamo-Insassen gefällt. Das allein ist eine gute Nachricht. Es ist ein Zeichen dafür, dass es möglich ist, terroristische Verbrechen mit den Mitteln des Rechtsstaats zu verfolgen. Auch in den USA.
Wer als mutmaßlicher Terrorist nach Guantánamo gerät, ist in den Händen des US-Militärs. Fernab jeder öffentlichen und medialen Kontrolle. Und fernab jeder Chance auf einen fairen Prozess. In Guantánamo entscheiden die Militärs nicht nur darüber, wie Gefangene verwahrt und behandelt werden, sondern sie richten auch über sie. Historische Errungenschaften wie Gewaltenteilung und der Anspruch auf eine optimale Verteidigung sind in Guantánamo inexistent. Guantánamo ist kein Ort von Rechtsstaatlichkeit, sondern ein Kriegsschauplatz. Die Ausweitung des Terrorismus hat das Gefangenlager nicht verhindert.
Die Geschworenen des Gerichts in New York haben den Tansanier Ahmed Kaifan Ghailani in 284 Anklagepunkten freigesprochen. Wegen seiner Verurteilung im dem 285. Anklagepunkt - Verschwörung gegen US-Eigentum - riskiert er dennoch eine Strafe zwischen 20 Jahren und lebenslänglich. Das ist immer noch viel.
Doch für jene, die sich den "Krieg gegen den Terror" zur Lebensaufgabe und zum zentralen Anliegen gemacht haben, reicht es nicht. Sie versuchen jetzt, dass "milde" Urteil gegen Ghailani in ein Argument für den Beibehalt von Guantánamo zu verwenden. Das ist wenig überraschend.
Und dennoch ist ihr öffentliches Auftreten, in dem sie Folter und alle möglichen anderen Verletzungen von rechtsstaatlichen Prinzipien verteidigen, beunruhigend. Es zeigt, wie stark die vergangenen acht Jahre "Krieg gegen den Terror" die Sitten verroht haben.
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