Kommentar Grundrechte in Deutschland: Survival of the fittest
Die Forderungen der Ex-Verfassungsrichterin Renate Jaeger sind sympathisch. Aber sie führen dazu, dass das Hierbleiben für Flüchtlinge immer härter wird.
W er sein Land verlässt, hat immer gewichtige Gründe", sagte die Ex-Verfassungs- und Europarichterin Renate Jaeger. Sie mahnte dabei mehr Verständnis für Flüchtlinge an, die nicht aus politischen, sondern sozialen Gründen ihr Land verlassen. Wie jetzt die meisten Flüchtlinge aus Nordafrika.
Wer längere Zeit in Deutschland gelebt hat, solle mit seinen Bindungen an dieses Land akzeptiert werden und die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen.
Die Vorstellung ist natürlich sympathisch. Kein Liberaler verweigert anderen gerne das Recht auf Freizügigkeit. Doch Jaeger ist realistisch genug, keine gänzlich offene Grenzen zu fordern. Die Staaten sollen die Kontrolle über die Einwandung grundsätzlich behalten, eine negative Entscheidung soll nur schnell erfolgen, bevor sich jemand dauerhaft in Deutschland niedergelassen hat.
Faktisch führt dies aber dazu, dass vor allem diejenigen in Deutschland bleiben können, die möglichst lange illegal untertauchen oder ihre Abschiebung effizient behindern, indem sie zum Beispiel ihre Papiere vernichten.
Einwanderung wird immer mehr zum dreifachen "survival of the fittest". Nur betuchte Familien können es sich leisten, die Reise eines jungen Menschen nach Europa zu finanzieren. Nur zähe Kämpfernaturen schaffen es, sich durchzuschlagen. Nur den anpassungsfähigsten gelingt es, sich hier festzusetzen, sich zu integrieren, um ein Bleiberecht zu ergattern.
Den Linken ist dieser Neo-Darwinismus ideologisch zuwider. Und die Rechten wollen sich Ausländer lieber selber aussuchen. Also werden die Außengrenzen dicht gemacht, die Flucht nach Europa erschwert. Die Zahl der Toten steigt. Je großzügiger die Bleiberechtsregeln, desto verbissener die Abschottung der Außengrenzen. Eine ehrliche Lösung hat niemand.
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