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Kommentar Grundrechte-EntzugAbwegig und gefährlich

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Nach dem Lübcke-Mord schlägt der CDU-Politiker Peter Tauber vor, Hetzern die Grundrechte zu entziehen. Ein Irrweg in die späten 1940er Jahre.

Peter Taubers Vorschlag ist gefährlich Foto: dpa

D er CDU-Politiker Peter Tauber hat vorgeschlagen, „Feinden unserer Verfassung“ die Grundrechte zu entziehen, wenn sie diese „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbrauchen“. Anlass war der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Tauber will Artikel 18 des Grundgesetzes anwenden. Danach kann das Bundesverfassungsgericht einzelnen Personen die Ausübung zum Beispiel der Meinungs- und Pressefreiheit verbieten.

Der Vorschlag ist abwegig und gefährlich. Statt Artikel 18 in solchen Konstellationen anzuwenden, sollte er besser aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Er stammt aus einer Zeit (1949), als Deutschland noch keine gefestigte pluralistische Demokratie war, sondern eben erst die faschistische Herrschaft überwunden hatte. Ein liberaler demokratischer Staat geht mit seinen Feinden anders um, als ihnen pauschal die Ausübung der Grundrechte zu verbieten.

Im demokratischen Staat muss gelten: Wer sich an die Regeln hält, kann am Diskurs teilnehmen. Die Regeln bestimmt der Gesetzgeber, kontrolliert vom Bundesverfassungsgericht. Strafbar ist deshalb die Volksverhetzung, die Holocaust-Leugnung, die Beleidigung, die Verleumdung und vieles mehr. Wer sich verfassungsfeindlich betätigt, kann zudem aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden. Die so beschlossenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind sicher nicht zu wenige.

Taubers Vorschlag hat dagegen mit rationaler Politik wenig zu tun. Glaubt wirklich jemand, dass Walter Lübcke noch leben würde, wenn Björn Höcke oder anderen Rechtsextremisten die Ausübung ihrer Grundrechte verboten worden wäre? Auch demokratischer Exorzismus ist ein Aberglauben.

Gewalt erscheint alternativlos

Tatsächlich sind manche Diskurse in Deutschland hasserfüllt und explosiv. Aber Träger dieses Hasses sind nicht eine Handvoll Politiker, sondern Hundertausende Bürger. Diesen Hass kann man nicht einfach verbieten. In der Demokratie kann man nur versuchen, ihn in diskursive Formen zu kanalisieren. Wer dagegen allen, die Hass verbreiten, die Grundrechte entziehen will, schützt damit nicht vor Gewalt, sondern legitimiert im Ergebnis Gewalt sogar – weil sie alternativlos erscheint.

Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht die Hürden für Artikel 18 bisher hoch gesetzt. Bislang sind alle (vier) Versuche, einzelnen Rechtsextremisten pauschal die Ausübung von Grundrechten zu verbieten, gescheitert. Am bekanntesten ist das Verfahren gegen Gerhard Frey, den Herausgeber der Nationalzeitung. 1974 lehnte das Bundesverfassungsgericht den Antrag der Bundesregierung ab, Frey das aktive und passive Wahlrecht abzuerkennen und seinen Verlag aufzulösen. Eine „ernsthafte Gefahr“ für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei nicht ersichtlich.

Taubers Vorstoß drückt ein Bedürfnis nach Abgrenzung aus. Das ist nicht nur verständlich, es ist auch völlig berechtigt. Adressat dieser Forderung kann aber nicht der demokratische Staat sein. Die Abgrenzung ist Aufgabe der gesellschaftlichen Akteure. Wer menschengefährdenden Hass verbreitet, sollte in demokratischen Parteien ausgeschlossen werden und kann auch kein politischer Partner demokratischer Parteien sein. Tauber hätte genug Anlass, in CDU und CSU für eine klare Linie zu sorgen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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11 Kommentare

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  • Die Behauptung, daß die gesamte BRD eine "gefestigte Demokratie" ist kann man stark anzweifeln. Für die NBL sagt die Empirie etwas anderes.



    Aus meiner Sicht ist es wichtig vor allem an die vielen Nazi Mitläufer die die Mehrheit der AFD Wähler bilden ein starkes autoritäres Signal zu senden. Die Zivilgesellschaft is z.B in der sächsischen Provinz einfach zu schwach um sich gegen den braunen Sumpf der dort herrscht zu wehren.



    Außerdem muß man den strukturellen Nachteil bedenken den Demokraten haben wenn sie sich mit gewaltbereiten Nazis auseinandersetzen. Verschärft wird dieser Nachteil noch durch die Nazis in den Sicherheitsapparaten.



    Deshalb alle vorhandenen Vorschriften im Strafrechtkonsequent nutzen,AFD Verbot prüfen und die Anwendung von Art. 18 und des Radikalenerlasses ernsthaft prüfen

  • Als Frey verhandelt wurde, gab es keine rechtsradikale Partei mit teilweise über 20% und keine sozialen Medien, in denen die Echos des Hasses durch die timelines rollen.

    Ich glaube, vielen ist weder die inhaltliche Qualität noch das Ausmaß, das die Hetze inzwischen angenommen hat, wirklich bewusst. Die Wahlerfolge der Rechtsextremen kommen nicht von ungefähr, sie kopieren nahezu exakt sie Medienstrategien ihrer historischen Vorläufer, Die modernen Felder des Neuromarketing und Framings haben sie noch draufgesattelt und je nach Plattform müssen sie sich nur den expliziten Gewaltaufruf sparen, um ungehindert die Köpfe zu massieren.

    Wäre die NPD bei ihrer Prüfung durch das BVG damals auf vergleichbare Zustimmungswerte gekommen, wäre sie vielleicht nicht als ungefährlich bewertet worden.

    • @Volker Maerz:

      Der unterschied zu früher ist, dass jetzt ein großer Teil der Bevölkerung abgehängt ist. Eine Folge der Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Schon seit Jahren weigert sich die Bundesregierung auf die Rüge zu reagieren, die von der EU wegen der Ehrdelikte der Beleidigung und der Verleumndung ausgesprochen wurde.



    Diese beiden Straftatbestände hätten Macchiavelli sicher gefallen, sie widersprechen aber dem Recht auf freie Meinungsäußerung das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.

    Dort ist in der Tat aber auch festgelegt, dass jemand, der anderen Menschen die Menschenrechte abspricht, sich nicht auf diese berufen kann. Ein mit starken Argumenten gerechtfertigter Rechteentzug wäre also zumindest nicht gegen die Menschenrechte.

    Im Gegensatz dazu beruht das Ehrdelikt der Beleidigung auf dem subjektivem Empfinden des Richters oder der Richterin. Es ist mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar. Zudem muss man ein Arschloch auch ungestraft Arschloch nennen dürfen, einen Scheißbullen ungestraft Bullenschwein und einen Nazi auch ungestraft Nazi. Da ist es egal, ob der so benannte das als Beleidigung empfindet und ob ein Richter seine Meinung teilt. Das heißt allerdings nicht, dass die Betreiber eines (a)sozialen Netzwerks ein solches Verhalten nicht trotzdem sanktionieren können.

    Bei der Verleumndung ist es ähnlich. Wenn eine Punkband singt: "Helmut Kohl schlägt seine Frau", dann muss er das aushalten. Die Ärzte wurden ja auch deswegen nicht vor Gericht gezerrt, weil das offenbar nicht ganz ernst gemeint war. Aber auch wenn es ernst gemeint gewesen wäre es nach EU-Menschenrechtsausschuss kein Fall für ein Gericht.



    www.youtube.com/watch?v=uW6ZD7yshXE

    Wenn eine Verleumndung zu finanziellen Ausfällen führt, können Regressansprüche auch vor einem Zivilgericht erstritten werden. In einem Strafgesetzbuch hat so ein Tatbestand aber nichts zu suchen.

    Es wurden in den letzten Jahren mit den Gesetzen zum Stalking und zum (Cyber-)Mobbing weitere Straftatbestände geschaffen, die anstatt der Beleidigung und der Verleumndung zur Strafverfolgung eingesetzt werden können.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Die neue Futurzwei war zwar für meine Ansprüche zu niveaulos und methodisch inkonsistent, aber die Forderung, nicht um der Moral willen der Moral gemäß zu handeln, nehme ich durchaus ernst.



      Leider führt das nicht dazu, dass die Herausgeber konsequenterweise ihren Habermasianismus aufgeben würden. Habermas hat bekanntlich allerhand moralische Diskursregeln aufgestellt, mit deren Hilfe er Menschen aus dem politischen Diskurs exorzieren will.



      Unfried ist hier in höchstem Maße selbstwidersprüchlich, aber wahrscheinlich viel zu narzisstisch, um sich das irgendwie zugeben zu können. Erst in der Erkenntnis des Selbstwiderspruchs und im offenen Umgang damit kann es zur Konsistenz kommen. Ganz vermeiden kann man ihn wohl nie.

      In diesem Sinne wäre es durchaus angebracht, wenn einige Redakteur*innen ihre Einstellung zum Netzwerksdurchsetzungsgesetz noch einmal überdenken würden. Zur Offenheit gegenüber Anderen gehört notwendigerweise dazu, sich auch einmal verletzen zu lassen.



      In sozialen Netzwerken gibt es die Blockierfunktion (und sogar Blocklisten) für die pathologischen Fälle.

      Aber jede*r sagt mal was Ungerechtes und jede*r fühlt sich mal beleidigt. Das ist noch lange kein Grund, jemandem die Freundschaft zu kündigen oder ihm, wie es Nasseri gerade erst im Unfried-Interview tat, das Politisch-Sein abzusprechen und ihn aus dem politischen Diskurs exorzieren zu wollen, indem man so tut, als würde er keine Argumente hervorbringen. Das ist Realitätsverleugnung und einem (ergebnis!-)offenen Diskurs nicht würdig.

      Dass die taz einige unverbesserliche Narzisten beschäftigt, ist für mich auch noch lange kein Grund, nicht zu bezahlen.

      Ein (Minimal-)Kompromiss ist schließlich nicht die Vernunft, sondern jene Unvernunft, die man (gerade noch so) ertragen kann.

      Das Aushalten-Können, die Selbstüberwindung und das Vergeben gehören zum demokratischen Diskurs dazu. Habermas ist mir schlicht nicht demokratisch genug.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        An den Ergebnissen Ihres Griffs in den hauseigenen Zettelkasten mag ich mich nicht aufhalten.

        Was mich hingegen interessiert: was meinen Sie genau mit dem Satz "Zur Offenheit gegenüber Anderen gehört notwendigerweise(?) dazu, sich auch einmal(?) verletzen(?) zu lassen"?

        Können Sie mal etwas deutlicher werden? Vielleicht mit einem klitzekleinen Beispiel? Wenns geht, argumentativ - nicht persönlich.

        Dass "unverbesserliche Narzissten" grundsätzlich falsch lägen, ist mir trotz sozialwissenschaftlicher Ausbildungen nicht geläufig ...

        Wenn Sie mehr wissen: keine falsche Bescheidenheit!

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Tja - mit den weisenwaisenweißen



        Elefanten transalpin - Wo laafse denn?



        Kriegt halt nicht ein dscheden hin.

        kurz&aber - PeterlePU & Habermas 😈



        Geht’s noch? Mach mich ja vor 😂 nass.



        Gewiß könn' gelegentlich auch Zwerge



        Weiter sehn - Wann‘s auf Riesen dere



        Schultern stehn! Was oft ein Gewerge!!



        Doch bleibemer doch was locker heiter:



        🌑fahrer van Fjurscher2 hettkaa Leiter



        Gellewelle. Nö. 'Trampelt durchs - 🎭 Getreide‘ - Strampelt aaf sei klaa Stelle •

  • Herrn Taubers Vorschlag führt nicht in die späten 40er, sondern in die frühen 30er.

    Aber der Union fällt natürlich nichts Besseres ein.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ne das ist die Debatte um die RAF neu aufgetaut.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      kurz - Der Bedarf an Verbotsparteien - ist mehr als gesättigt.

  • Na Servus - Geht’s noch^?^

    Sach mal so - frei nach Wolfgang 'ick setz mir mal bei Richie' Neuss -

    “Ich will gleich mal so fragen - könnte man nicht die Aberkennung der Grundrechte



    Einführen bzw Ausführen - für Leute - die ditt vorschlagen?“







    unterm——-& Däh - Wolfgang Neuss —-



    BegrüßungsConférencier zu “Wolf Biermann zu Gast bei Wolfgang Neuss“ (1965)



    m.youtube.com/watc...BF188016A1&index=1



    (~ ab 1:30 min )

    —-ps & Vorschlag zur Güte - CDU ? - Mach Bosse - FDGO ?



    = Parteiausschlussverfahren doch wohl als Mindestes - wa!



    Normal - Schonn.