Kommentar Grünen-Parteitag in Kiel: Ideen, die niemandem wehtun

Die Grünen-Spitze inszeniert Geschlossenheit. Sie kuschelt wegen des Green Deals mit den Unternehmen. Vor diesen Grünen brauchen sich Reiche nicht zu fürchten.

Brüllt Kritiker schon auch mal an, damit die Geschlossenheit stimmt: Parteichef Cem Özdemir. Bild: dpa

Das Klischee, die Grünen seien eine besonders streitbare Partei, hält sich hartnäckig. Auch deshalb, weil Spitzengrüne dieses Image sorgsam pflegen. Doch mit der berühmt-berüchtigten Streitkultur ist es nicht mehr weit her.

Wo früher erbittert über Richtungsentscheidungen gestritten wurde, wo der Vorstand jederzeit die Revolte fürchten musste, herrscht heute der sorgsam austarierte Kompromiss. Der Grünen-Parteitag in Kiel belegte wieder einmal, wie effektiv die Grünen-Spitze mit Blick auf die Wahl 2013 Geschlossenheit inszeniert. Und die Basis folgt erstaunlich widerspruchslos. Die wenigen Kritiker, die es noch gibt, sind allenfalls rebellisches Kolorit.

Der Kurs der Grünen ist klar. Sie drängen in die bürgerliche Mitte, sie kuscheln wegen des Green New Deals mit den Unternehmen. Deshalb sind ihre Pläne für eine Umverteilung sehr seriös, aber nicht besonders ambitioniert. Vor diesen Grünen brauchen sich die Reichen nicht zu fürchten. Weder zwingt die grüne Vermögensabgabe Unternehmen in die Knie, noch schröpft der Spitzensteuersatz Gutverdiener übermäßig.

Erstere fokussiert, dank großzügiger Freibeträge, mehrfache Millionäre. Letzterer trifft nur die zwei Prozent der Steuerpflichtigen, die mehr als 80.000 Euro verdienen. Und auch die müssen nur den allerkleinsten Teil ihres Gehalts so hoch versteuern. Solche Ideen tun nur sehr wenigen weh. Und wenn man sie mit den nicht abzusehenden Krisenkosten in Relation setzt, muten sie noch vorsichtig an.

Gerade deshalb ist verräterisch, wie nervös die Grünen-Spitze auf Kritik reagiert. Denen, die mehr fordern, brüllte Parteichef Özdemir in Kiel zu: Ob sie denn bitteschön Hochschullehrer und leitende Angestellte treffen wollten? Mal anders herum gefragt: Ja, warum denn nicht? Natürlich wäre einem Universitätsprofessor zuzumuten, 20, 30 Euro mehr Steuern im Monat zu zahlen. Er wäre sehr wahrscheinlich bereit dazu, denn die obere Mittelschicht weiß um den Wert eines funktionierenden Gemeinwesens.

Der wahre Grund liegt woanders. Die Grünen fürchten sich davor, ihr eigenes Wählerklientel zu belasten. Sie sagen das aber nicht offen. Das ist ein verständlicher Reflex, der ihnen allerdings schaden wird. Erstens widerspricht er dem grünen Mantra, nur Ehrlichkeit helfe aus der Krise. Und zweitens hat es einer Partei nie genutzt, ihr eigenes Klientel zu unterschätzen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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