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Kommentar GroßbritannienReformbündnis auf der Probe

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die konservativ-liberale Regierung kann Großbritannien besser reformieren als eine Labour-geführte Koalition. Das heißt aber nicht, dass Camerons Kabinett alles richtig machen wird.

D avid Camerons konservativ-liberale Koalition ist für Großbritannien vermutlich die beste Lösung für das Chaos, das die britischen Wähler bei den Parlamentswahlen am 6. Mai angerichtet haben. Das Chaos war nicht geplant, entsprach aber der Stimmungslage der Bevölkerung, die gegenüber der politischen Klasse extrem misstrauisch geworden ist. Jede Alleinregierung einer Partei hätte dieses Problem verschärft.

Erst eine Koalition ermöglicht eine transparentere, auf breiteres Vertrauen angelegte Politik. Und nur eine konservativ-liberale Koalition hat eine ausreichende Mehrheit, um nicht jede Entscheidung unter den Vorbehalt schmutziger Deals mit einzelnen Abgeordneten stellen zu müssen. Deswegen kann diese Regierung Großbritannien besser reformieren, als es eine Labour-geführte Koalition gekonnt hätte.

Das heißt nicht, dass Camerons Kabinett jetzt alles richtig machen wird. Die Kompromisse zwischen Cameron und dem Liberalen-Chef Nick Clegg in der Frage der Staatsfinanzen - Cameron setzt Ausgabenkürzungen durch, Clegg Steuererleichterungen - führen das Land paradoxerweise in eine viel schärfere Sparpolitik hinein, als es jeder der beiden zuvor plante.

Bild: taz

Dominic Johnson ist Auslandsredaktuer der taz.

Und die Selbstverpflichtungen der Koalition zu mehr Bürgerrechten im Datenschutz, im Versammlungsrecht und in der Strafprozessordnung könnten gegenüber der inneren und äußeren Sicherheit durchaus den Kürzeren ziehen, je nach Entwicklung in Afghanistan und bei der US-geführten Terrorismusbekämpfung.

Dass sich die Koalitionäre in vielen Punkten einfach darauf verständigt haben, sich nicht zu einigen, ist ein politischer Gewinn. Denn damit bekommen die gewählten Abgeordneten mehr Freiräume und es werden mehr Entscheidungen im Parlament fallen, also in der öffentlichen Diskussion. Der Test dafür, ob Camerons Bündnis wirklich ein Reformbündnis für eine "neue Politik" wird, liegt darin, ob die Regierung diese Diskussion als Bereicherung sieht oder als Ärgernis.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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2 Kommentare

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  • Y
    Yasam

    Eines wird aber ganz sicher passieren: Diese Regierung wird versuchen, bei armen und arbeitslosen Briten zu sparen. Und damit werden dann auch erste Konflikte entstehen und gerade die von Johnson genannten Sparideen werden Cameron und Clegg noch um die Ohren fliegen. Aber die nächsten Jahre gehören ihnen - solange sie sich irgendwie vertragen und das bedeutet wohl auch vertagen. Diese Form der Regierung ist für die Konservativen fremd und das wird noch Lernprozesse erzwingen. Ich denke mal, dass Großbritannien aus einem Stillstand in eine andere Art von Thatcherismus driften wird. Schon Labour hat nicht wirklich soziale Problematiken gelöst, nur die Arbeitslosigkeit sank, gemessen an anderen europäischen Ländern ist UK eher Portugal als Holland und eher Türkei als Schweden. Dabei gebe es Milliarden-Chancen in der Restoration der Infrastruktur, der Bahnen, U-Bahnen und vieler anderer öffentlicher Einrichtungen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es dieses Mal für Labour nicht mehr klappte: Die Ankündigungen sind doch gerade an dieser Stelle stecken geblieben.

  • LO
    Lemsip Opec

    Dear Mr. Johnson,

     

    "ALLEINREGIERUNG EINER PARTEI HÄTTE DAS CHAOS VERSCHÄRFT" Was genau meinen sie denn mit Chaos ?? Die Tatsache, dass keine Partei die absolute Mehrheit der Stimmen und Parliamentssitze gewonnen hat und deshalb eine Koalition bilden muss ? Das ist in den meisten europäischen Ländern die Normalität und führt eher zu offenen Diskussionen und Kompromissen zwischen Parteien. Dieser transparentere politische Prozess ist mir zehnmal lieber als die bisherige - vollkommen undemokratische - britische Tradition Parteien mit weniger als 40% der (abgegebenen!) Wahlstimmen eine absolute Parlamentsmehrheit zu bescheren, die der jeweilige Parteiführer nutzt um mit zweifelhaften backroom deals autokratisch 'durchzuregieren'!!

    Dass die britische Bevölkerung - völlig zu Recht - "gegenüber der politischen Klasse extrem misstrauisch geworden ist", liegt aber vor allem am Spesenskandal im vergangenen Parlament, in dem sowohl Labour- als auch Tory-Abgeordnete sich in der Staatskasse bedient und obszön bereichert haben.

    Sie vermischen da zwei politische topoi: den Spesenskandal und die sehr divergierenden politischen Programme von Tories und Liberals, die

    nicht zusammengehören. Ihre Aussage "Und nur eine konservativ-liberale Koalition hat eine ausreichende Mehrheit, um nicht jede Entscheidung unter den Vorbehalt schmutziger Deals mit einzelnen Abgeordneten stellen zu müssen." finde ich in höchstem Masse fragwürdig. Seit wann ist eine Parlamentarische Mehrheit mit Hilfe kleinerer Parteien ein "schmutziger Deal"? Dass sie damit das spätmittelaterliche Politikverständnis der Tories ausbreiten, hätte ich eher in der FAZ erwartet als in der TAZ.

    Insgesamt kann ich auch den optimistischen Grundton ihres Kommentars ("beste Lösung" - für wen denn) schwer in Einklang bringen mit ihrem wesentlich realistischeren Bericht "LONDONS NEUE KOALITION - Sonnenschein, Tendenz leicht bewölkt". Dass die beiden sehr ungleichen Koalitionspartner die meisten kontroversen Fragen ausgeklammert haben, trägt nicht zur "Stabilität" bei. Angesicht eines langjaährigen Außenhandelsdefizits und eines Haushaltsdefizits so groß wie Griechenland, ist dass Pulverfass unter den Stühlen von Cameron und Clegg deutlich sichtbar. Die Frage lautet daher für die Liberalen ob sie ihre Wahlrechtsreform durchkriegen, bevor die 'Koaliton' auseinanderfliegt angesichts drohender Staatspleite.

     

    Sincerely,

    Lemsip Opec

     

    P.S. Bitte bezeichnen die britischen Liberalen nicht als 'links', das ist höchst irreführend!!! ("Kräftige linke Tupfer erhalten hingegen Wirtschaft und Umwelt" Bericht "Sonnenschein, Tendenz leicht bewölkt")Sie mögen weniger konservativ als die Tories sein, aber das ist selbst die CDU in Deutschland!

     

    PPS. Wo ist der Sotscheck wenn man ihn braucht?