Am 25.03.2011 habe ich eine neue Verfassungsbeschwerde angekündigt gegen die Zustimmung zu Art. 136 Abs.3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Denn dieser enthält eine extrem weitreichende, selbst durch die Methode der einschränkenden verfassungskonformen Interpretation nicht eingrenzbare, Blankett-Ermächtigung für Mechanismen im Namen der Stabilität des Euro-Währungsgebietes. Und alle Finanzhilfen im Rahmen solcher Mechanismen wären mit Auflagen verbunden mit einer Strenge, wie sie der Praxis des Internationalen Währungsfonds (IWF) entspricht.
Ich habe darüber mit Schreiben vom 24.03.2011 den Bundespräsideten und sowie zu gleichen Teilen ausgewählte etablierte konventionelle und etablierte alternative Medien sowie NGOs zur Stärkung der Demokratie informiert.
Nach Leitsatz 3 des Lissabonurteils ist die diskursive Entfaltung in der politischen Öffentlichkeit, also innerhalb des Volkes, gerade bei menschenrechtlich sensiblen Fragen unverzichtbar.
Die frühzeitige Informierung dient auch dem Zweck, das Vertrauen in das Amt des Bundespräsidenten wiederherzustellen, welches dadurch eine Erschütterung erfahren hatte, dass der vorherige Bundespräsident Horst Köhler das EUStabG innerhalb nur eines Tages nach Zustimmung in Bundestag und Bundesrat im Bundesgesetzblatt hatte verkünden lassen, obwohl sich auf Grund des zweiten Satzes jenes Gesetzes offensichtlich die Frage stellte, ob es dort nur um astronomisch hohe Bürgschaftsermächtigungen oder auch um eine Vorab-Blankett-Ermächtigung für den Euro-Stabilisierungsmechanismus handelte. Darum und für die Ermöglichung der ordnungsgemäßen Prüfung der „kleinen Vertragsänderung“ (Art. 136 Abs. 3 AEUV) durch das Bundesverfassungsgericht zeigte ich gegenüber dem jetzigen Bundespräsidenten Christian Wulff auch diesen deutlichen Vertrauensvorschuss.
Die frühzeitige Information ausgewählter, in Fragen der Finanzkrise sich bereits als kompetent gezeigt habender, Medien hat zum einen den Sinn, diesen genug Zeit zu geben, schon vor Einreichung der Verfassungsbeschwerde ihre Recherchen zu vertiefen auch über Fragen der Transferunion, der Machtverteilung zwischen den nationalen und den europäischen Institutionen und die bloße quanti- tative Dimension der Rettungspakete hinaus. Vor allem die Folgen für die Demokratie und die Folgen für die Würde der Völker Europas bedürfen einer noch weitaus intensiveren Betrachtung als bisher. Da ist vor allem das riesige Demokratiedefizit dadurch, dass man der EU-Kommission (bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und beim Ungleichgewichtsverfahren), dem Internationalen Währungsfonds (beim Euro-Rettungsschirm und dessen Fortführung im ESM) und sogar den privaten Gläubigern der Staaten (beim Staateninsolvenzverfahren innerhalb des ESM), sowie daneben noch dem Europäischen Rat (über den Euro-Pakt Plus) weitreichende hoheitliche Macht über sämtliche Staaten erst einmal der Eurozone, später der gesamten EU, geben will zu Lasten der nationalen Parlamente und noch mehr zu Lasten der Völker.
Noch verletzender für die Menschenwürde und für die sozialen Menschenrechte gegenüber den Völkern Europas ist das, was an Auflagen und sanktionsbewehrten Empfehlungen in diesen Mechanismen zu erwarten wäre. Die Verpflichtung auf die „Praxis des IWF“ bedeutet nämlich nichts anderes als die Wahrung der Interessen der Gläubiger und des IWF selbst unter Ignorierung der Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten. Bis hin zum Ausnahmezustand zur Durchsetzung der „Praxis des IWF“, wie dies geschehen ist bzw. noch geschieht in Griechenland, Rumänien, Sri Lanka, Spanien, Südkorea und Thailand, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Insbesondere auch die, anhand vorliegender Dokumente der EU bzw. nachweislicher Erfahrungen mit dem IWF in anderen Staaten, prognostizierbaren Auflagen zur Marginalisierung des solidarischen Teils der Sozialversicherung, zu Streichungen von Sozialleistungen zum Lebensunterhalt, zu Verkäufen von Nahrungsmittelnotreserven und zur Marginalisierung der Gesundheitsversorgung, wobei letztere bereits zur Zeit der „Transformation“ im Osten in den 1990er Jahren entscheidend zur Verbreitung der Tuberkulose beigetragen hat, bedürfen dringend einer gründlicheren öffentlichen Betrachtung.
Und das alles würde gestützt auf die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV.
US-Vizepräsident Joe Biden hat die faszinierte Gebanntheit der europäischen Politik am Beispiel der sog. Griechenlandhilfe treffend aufgezeigt mit einem Zitat des irischen Dichters William Butler Yeats:
„All the changed. Changed utterly. A terrible beauty has been born.“
Die Freiheit von „Angst und Not“ (Präambel der AEMR), wie sie das System der universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen will, sieht anders aus, ist eher das Gegenteil von dem, wofür Art. 136 Abs. 3 AEUV initiiert worden ist.
Es scheint hier in Europa eine riesige Verwechselung entstanden zu sein. Die „Freiheit von Angst und Not“ bezieht sich auf jeden einzelnen Menschen sowie auf die Völker. Und die Völker sind nicht identisch mit den Banken, dem Weltwirtschaftsforum, den Gentechnikkonzernen oder renommierten internationalen Debattierclubs. Seit mindestens 15 Jahren wird den Steuerzahlern massiv das Geld aus der Tasche gezogen zur Förderung der Gentechnik in der Landwirtschaft, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung diese nicht will, und obwohl diese ohne EU-Subventionen wirtschaftlich in Europa nicht überlebensfähig wäre. Und dieses Verhalten will man jetzt auf offen und verdeckt mit noch astronomischeren Beträgen auf marode Banken übertragen.
Auch Art. 23 Abs. 1 GG stellt sich den Staatsauftrag europäische Integration im Sinne der Demokratie und nicht im Sinne der Bankenverständigung auf Kosten der Völker vor.
Ich stehe mit der Forderung nach einer genaueren Betrachtung der menschenrechtlichen Folgen der Art und Weise der Bewältigung der Finanzkrise nicht allein.
Erhellend ist auch die Mitteilung der unabhängigen Expertin des Uno-Menschenrechtsrats zu extremer Armut, Magdena Sepulveda, bzgl. Irland. Sie hat im Februar 2011 Irland untersucht. Sie hat dabei zwar in keiner Weise bezug genommen auf das EU-Recht, was auch kaum möglich wäre, weil das EU-Recht und das Uno-Recht zwei voneinander völlig getrennte völkerrechtliche Rechtskreise sind, und die Verpflichtung auf das Uno-Recht ebenso wie auf das EU-Recht seitens der Staaten besteht. Sie hat jedoch klargestellt, dass bei der Bewältigung der Finanzkrise die verletzlichen Bevölkerungsgruppen Vorrang haben müssen. Dazu zählt sie vor allem die Kinder, aber auch Alleinerziehende, Behinderte, Migranten, Wanderarbeiter, Obdachlose, Arbeitnehmer unterhalb der Armutsgrenze („working poor“), Bewohner ländlicher Gegenden, Flüchtlinge und Asylbewerber.
Der am 24.03.2011 übersandte Klageentwurf enthält den Kenntnisstand von Mitte März 2011. Darum kann dieser Entwurf nicht genau identisch sein mit der Verfassungsbeschwerde, die schließlich eingereicht werden wird, sondern dient allein der diskursiven Entfaltung in Medien und Öffentlichkeit. Inbesondere die zusätzlichen Erkenntnisse, welche sich aus dem EU-Gipfel vom 24.+25.03.2011 ergeben, bedürfen noch einer zusätzlichen öffentlichen Würdigung im Lichte der Verfassungsbeschwerde.
Jetzt ist es an der Presse, ihrer Aufgabe zur Herstellung einer öffentlichen Debatte gerecht zu werden.
V. i. S. d. P.:
Sarah Luzia Hassel-Reusing
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