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Kommentar Grenzkonflikt im SükaukasusWachsende Kriegsgefahr

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Nach den tödlichen Schusswechseln an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan sind die OSZE und die Zivilgesellschaft in beiden Ländern gefordert.

D er Tod von fast zehn aserbaidschanischen und armenischen Soldaten an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan wirft erneut ein Schlaglicht auf die wachsende Kriegsgefahr im Südkaukasus.

Auch wenn Schusswechsel zwischen Truppen beider Staaten trotz eines nun schon 18-jährigen Waffenstillstandes fast schon zum Alltag gehören, haben die jüngsten Vorfälle eine neue Qualität: Die Soldaten starben nicht an der Waffenstillstandszone zwischen Aserbaidschan und der von keinem Staat der Welt anerkannten „Republik Nagornij Karabach“.

Sondern an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidshan. Hier schossen zwei Subjekte des Völkerrechts aufeinander.

Ein Krieg zwischen beiden Ländern könnte weit schwer wiegendere Folgen haben als ein Krieg zwischen Aserbaidschan und der in Nagornij Karabach lebenden armenischen Minderheit.

BERNHARD CLASEN

ist Autor der taz.

Russland, das sich als Garant des armenischen Staates versteht, wird in einen solchen Krieg unweigerlich mit hineingezogen werden. Gleichzeitig wird die Bevölkerung beider Länder zusehends von nationalistischen Gefühlen geprägt.

Auf einer Demonstration am Donnerstag in der armenischen Hauptstadt Eriwan wollen wütende Bürger die Regierung zum Abbruch sämtlicher Kontakte mit Aserbaidschan auffordern. Kein gutes Omen für das von der russischen Regierung initiierte armenisch-aserbaidschanische Journalistentreffen, das diese Tage in Moskau stattfindet.

Wie lässt sich ein Krieg noch verhindern? Der Waffenstillstand muss lückenlos durch die OSZE überwacht werden. Nur so lässt sich dokumentieren, wer angegriffen hat.

Ein derartiger Kontrollmechanismus würde einen Angreifer erst einmal überlegen lassen, hätte doch ein Angriff eine internationale Verurteilung zur Folge.

Gleichzeitig müssen der Kriegsbereitschaft und nationalistischen Hysterie auf beiden Seiten direkte zivilgesellschaftliche und diplomatische Kontakten entgegengestellt werden. Sonst lässt sich die wachsende Kriegsgefahr im Kaukasus nicht bannen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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8 Kommentare

 / 
  • TS
    to schmunzelnder Betrachter

    Aserbaidschan ist ein Ölexportland und hat viel größere Ressourcen als Georgien. Da das Hauptaugenmerk auf Syrien, Iran und die Eurokrise gerichtet ist, könnte Aserbaidschan die Gunst der Stunde nutzen. Durch seine Nähe zum Iran, kann es als Außenposten der USA/Israel dienen und hat so ein Argument für die Unterstützung durch den Westen. Der 1,6 Milliarden $-Deal mit Israel über unbemannte Flugzeuge ist ein gutes Beispiel: die Flugzeuge werden jetzt gegen Armenien verwendet, obwohl sie offiziell zur Verteidigung gegen den Iran gekauft wurden.

     

    Armenien hatte noch nie in der späteren Geschichte die Wahl. Die Bündnisstruktur im Kaukasus ist ausgeklügelt und die kleinen Länder sind lediglich Spielbälle der Großmächte. Armenien ist bereits geopolitish isoliert. Die Grenzen in Osten (Aserbaidschan) und Westen (Türkei) sind dicht, der Handel läuft umständlich über Georgien.

     

    Man ist sich in Aserbaidschan der Tatsache bewusst, dass Russland seine Interessen im Kaukasus notfalls mit militärischem Einsatz durchsetzt. Dennoch ist ein klarer Trend zum Westen hin erkennbar ( siehe tri-laterale Verhandlungen zwischen der Türkei, Georgien, Aserbaidschan)

     

    Wie gesagt, der Westen hat seine Glaubwürdigkeit als Garant für Sicherheit im Kauaksus (insbesondere für Armenien) nicht hergestellt, eher noch verschlechtert. Druck macht es wahrscheinlich nur noch schlimmer. Für Armenien ist das eine Wahl zwischen Pech und Schwefel. Der Westen hat eindeutig gezeigt, dass es ihm um die Isolation Russlands und um die Kontrolle des Aserbaidschanischen Öls geht. Beides ist nicht im Interesse Armeniens.

     

    Momentan sehen wir, dass Russland, China und andere asiatische Staaten ihre Allianz gegen die Vormacht der USA verstärken (Shanghai Organisation). Ein Irankrieg wäre nicht nur für die Region, sondern auch für die Welt katastrophal.

     

    Der Westen (aus mir unverständlichen Gründen) bis heute Armenien keine realistischen Sicherheitsgarantien gegen Aserbaidschan und die Türkei angeboten.

     

    Warum Russland dem ganzen Spektakel noch so ruhig zusieht, wundert mich auch. Jep, zu Sovietzeiten hätte Moskau ruhe in den Laden gebracht.

     

    „interessant“ ist das ganze nur für diejenigen, die es sich gemütlich von weiter weg anschauen können. Für die betroffen Länder und die Region ist es eine emotional sehr angespannte Lage.

     

    Angesichts des Ernstes der Lage und des Ausmaßes der Konsequenzen eines Irankrieges ist das Wort „interessant“ unsachgemäß.

     

    Ich stimme Ihnen aber zu, die Berichterstattung der westlichen Medien hat orwellsche Dimensionen angenommen....

  • ES
    einem schmunzelnden Betrachter

    @"to..."

     

    Sie haben Recht. Ich hab nochmal genau hingesehen, und die Fronten sind in diesem Punkt tatsächlich andersherum. Aber Hand aufs Herz: ändert das was an der grundsätzlichen Einschätzung der Lage?

     

    Armenien ist ein direkter Nachbar des Iran und zugleich ein eher russlandfreundliches Land. Halten Sie es für einen Zufall, dass dort ausgerechnet jetzt ein bewaffneter Konflikt ausbricht?

     

    Denn immerhin stehen wir im Vorfeld eines Irankrieges, und da wird man sich in Armenien jetzt sicher viele Gedanken machen, ob es sich noch lohnt, eher auf der Seite Russlands und des Irans zu bleiben, oder sich vielleicht doch den US-amerikanischen Bestrebungen unterzuordnen.

     

    Sollte der Iran tatsächlich vom Westen in einem Krieg besiegt und destabilisiert werden, würde das Armenien in eine geopolitische Isolationslage bringen. Dann würde es im Süden an eine Krisenzone, und auf allen anderen Seiten an NATO-Mitglieder bzw. -Satellitenstaaten grenzen.

     

    Gerade wenn die Regierung Aserbaijans so ... machtbewusst ist, wie Sie sie charakterisieren, dann hat man dort, denke ich, genug Realitätssinn, um zu wissen, wem man sich derzeit eher mit einem Gefallen andienen sollte: Russland oder dem Westen.

     

    Ich pflege keine direkten Verbindungen in die Schaltzentralen in Washington und Brüssel, und ich kann auch nicht Rechenschaft darüber geben, wie sehr die Aserbaijanis nach der Pfeife des Westens tanzen.

     

    Aber ich glaube schon lange nicht mehr an Zufälle in der Politik, und ich kann mir gut vorstellen, dass all das letztlich eine Veranstaltung ist, die den Sinn hat, einen der letzten noch nicht mit dem Westen verquickten Staaten in der Region unter Druck zu setzen und ihm eine Chance zu geben, seine Allianzstrukturen nochmal im Guten zu überprüfen, ehe man zu anderen Mitteln greift.

     

    Denn angesichts des agressiven westlichen Expansionismus kann es sonst sein, dass "man" nach der "Erledigung" der Syrien- und der Iran-Frage gleich durchmarschiert - und da wäre Armenien dann das letzte Land in der ganzen Region, das sich eher nach Russland denn nach dem Westen orientiert.

     

    Dann hätten die Armenier nur noch die Wahl, wie sie die Amerikaner den Sack zuschnüren lassen: nach der in Lybien bewährten und derzeit in Syrien angewandten Methode; mit einem direkten Angriff (wie er wohl dem Iran bevorsteht); oder auf die weiche Art: indem die Armenier noch rechtzeitig die Seiten wechseln und in den Club der Günstlinge des Westens eintreten (wo Georgien und Aserbaijan schon heute stehen).

     

    Was mich hier wundert, ist nur, warum Russland dem ganzen Spektakel noch so ruhig zusieht. An deren Stelle hätte ich schon lange meine ICBMs scharfgemacht, und vielleicht sogar dem Iran ein paar Bomben zugeschanzt.

     

    (Auf die Weise hat China anno 1998 ja erfolgreich Pakistan gegen Indien aufgebaut, und auch bei ihrem Satelliten Nordkorea gibt es begründete Vermutungen, dass die ihre Bombe nicht ganz aus eigener Kraft gebaut haben.)

     

    Gott bewahre, dass die wiederkommen - aber zu Sovietzeiten hätte Moskau mit dem ganzen unheiligen Spektakel in der Region schon lange radikal Schluss gemacht.

     

    Und ich wage zu bezweifeln, dass es den Völkern dann politisch, menschenrechtlich oder wirtschaftlich schlechter gegangen wäre, als es den Bevölkerungen der westlichen Beutestaaten schon heute blüht oder bereits der Fall ist - ich sage nur: Irak, Afghanistan, Libyen; Syrien auch schon.

     

    Viel Spekulation, aber sicher ist, dass wir in den berüchtigten "interessanten Zeiten" leben. Und dass wir beim Nachrichtenlesen immer ganz genau hinsehen und uns nicht mit "Spins" füttern lassen sollten ...

  • TS
    to schmunzelnder Betrachter:

    Ich denke Sie bringen da einiges durcheinander. Armenien ist (gezwungenermaßen) der engste Bündnispartner Russlands in der Region. Andererseits regiert in Azerbaijan keine Marionette Amerikas, sondern ein selbstherrlicher autoritärer Clan.

    Die (nicht zu wünschende) Ausweitung eines Konfliktes in der Region kann man keinesfalls als Nebenkriegsschauplatz ansehen, da es direkt an den Iran, Russland und Türkei grentzt und wie aus Ihrem Link hervorgeht der Schlüssel zu Zentralasien ist.

  • ES
    einem schmunzelnden Betrachter

    Und hier nachgereicht ein Link zu einem Artikel über die damalige Show aus einem US-Magazin:

     

    http://web.archive.org/web/20080919163232/http://www.counterpunch.com/whitney08142008.html

     

    Da die Welt schon lange nicht mehr lernt (und gar nicht erst genauer hinschaut), sind wir offenbar auch heute wieder zur Wiederholung von Geschichte verdammt.

  • ES
    einem schmunzelnden Betrachter

    Jetzt muss ich mich präzisieren und zugleich korrigieren: das war 2008, und die US-Marionette war damals nicht Armenien, sondern Georgien, das sich Süd-Ossetien zurückholen wollte. Zufällig ganz kurz nach gemeinsamen Truppenübungen mit NATO-Truppen. So kurz, dass da zufällig noch immer amerikanische Berater in den georgischen Truppenverbänden waren.

     

    Die gleiche Aufführung auch demnächst wieder, mit Armenien als Hauptdarsteller? Also, Gast & Gast1: empöre Dich ruhig, aber hoffentlich nicht in die falsche Richtung ...

  • ES
    einem schmunzelnden Betrachter

    Durchsichtiges Manöver der US-Expansionspolitik: die USA eröffnen einen Nebenkriegsschauplatz, um die widerspenstigen Russen angesichts ihrer eigenen Syrien- und Iran-Pläne unter Druck zu setzen.

     

    Vor einigen Jahren hatte sich die Armenier übrigens schon mal gegen die Russen und deren Verbündete eine blutige Nase geholt, als sie - mit maßgeblicher Beteiligung von US-"Militärberatern" versucht haben, sich ein Stück ihrer Nachbarn einzuverleiben. War das nicht auch Aserbaidschan, aus dem sie und ihre amerikanischen "Ausbilder" sich mit eingekniffenem Schwanz zurückziehen mussten?

     

    Angesichts der Zehntausenden von unschuldigen Leben, die bei diesem Schachzug aufs Spiel gesetzt werden, kann man echt nur schmunzeln.

  • G
    Gast1

    Es ist bekennend wie die Europäer schweigen...

  • G
    Gast

    Hier schießen zwei Nachbarn Europas aufeinander, der eine mit rieseigen Ölvorkommen und massiv hochgerüstet, der andere am Rande der Armut. Und was machen die Europäer: schweigen!