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Kommentar Gewalt gegen PolizeiFalscher Weg, falscher Anlass

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Mit hysterisierenden Zahlen soll eine Strafverschärfung durchgeboxt werden. Dabei dient sie allein dem Zweck, die Polizeibeamten zu trösten.

P olizisten sehen sich selbst wachsender Feindseligkeit ausgesetzt. Die Indizien sprechen dafür, dass die Gewalt gegen Polizisten tatsächlich zugenommen hat. Man darf sogar davon ausgehen, dass um des allgemeinen Sicherheitsgefühls willen gar nicht immer berichtet wird, welcher Streifenpolizist sich von 16-jährigen unkontrollierten Testosteronbolzen die Finger brechen lassen musste, weil er sie aufforderte, das Bus-Wartehäuschen zu schonen. Darauf muss ein Innenminister reagieren.

Nur: Weder sind der Anlass noch die Stichworte richtig gewählt noch überzeugt die erhobene Forderung. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger weist zu Recht darauf hin, dass Körperverletzung gegen Polizisten bereits strafbar ist. Der Löwenanteil der Übergriffe hat - anders als von der CDU behauptet - mit Linksextremismus gar nichts zu tun. Die 1.-Mai-Festspiele 2009 brachten hysterisierende Zahlen zur Gewalt gegen Polizisten hervor, die heuer politisch und medial missbraucht werden.

Eine Strafverschärfung nach de Maizière dient allein dem Zweck, die aufgebrachten, auch verängstigten Beamten zu trösten. Sie könnte aber deren Sicherheit sogar schaden, indem sie - sofern überhaupt registriert - die Gewaltbereitschaft des Zielpublikums noch fördert. Nach allem, was von den jungen Schlägern bekannt ist, inszenieren sie ihren traurigen Alltag als Krieg, der jedes Mittel erlaubt. Höhere Strafen wirken selten abschreckend - dürften aber den erstrebten Kriegsheldenstatus nur steigern.

Bild: privat

Ulrike Winkelmann, 39, ist Redakteurin im Inlandsressort der taz

Sollte die Union sich mit der Erforschung der Gewaltursachen so sorgfältig befassen wie mit den Gewaltfolgen, wird sie es mit ihrer eigenen Bildungspolitik, mit der Spaltung der Gesellschaft, mit all den Dingen zu tun bekommen, die schwerer zu bearbeiten sind, als mal eben einen Strafrahmen festzusetzen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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2 Kommentare

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  • C
    claudia

    Ein wichtiger Kommentar, dem ich voll zustimme.

    Es ist noch nicht lange her, daß Ursachen der Gewaltbereitschft bei Jugendlichen in Armut und Perspektivlosigkeit gesehen werden konnten.

    Man muß nur schauen, in welchen Stadtvierteln es am heftigsten zugeht, um drauf zu kommen. Wer nichts zu verlieren hat, verliert auch nichts, wenn er seiner Wut freien Lauf läßt.

     

    Die Primärgewalt geht von oben aus. Daß Kapitalverwertung mehr einbringt, wenn man eine breite Armutschicht als Lohndrücker einsetzen kann, ist ja bekannt. Es war das Ziel der Politik, wieder dahin zu kommen. Die Agenda 2010 machte das besonders deutlich, aber das Ziel war auch vorher schon erkennbar.

     

    Wer in der Hierarchie oben sitzt und auf die „Massen” blickt, hat wahrscheinlich keinen Grund zu differenzieren. Die Angst vor den Opfern der Verarmungspolitik genügt, um Verteidigungslinien gegen die Gegner dieser Politik aufzubauen.

    Wenn alles, was vor 10 Jahren noch unter dem Begriff „Vandalismus” lief, nunmehr das Etikett „links” bekommt, dann wird der brave nichtdenkende und vielgläubige Bürger sein Kreuzlein in der Wahlkabine nicht bei „links” machen. Auch dann, wenn er/sie viellcicht inhaltlich den Zielen der Linken Partei zustimmen würde. Die Berührungsangst mit allem, was irgendwie "links" ist, ist dann einfach zu groß, um sich überhaupt noch damit auseinander zu setzen. Irrationale Ängste zu fördern ist ein altes, erprobtes Mittel der „Menschenführung”.

    Ich bin sicher, daß das der Hintergrund der Kampagne „Gewalt = links” ist: Psychologischer Bürgerkrieg von oben.

     

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    Auf der Linie der Kampagne liegen auch Provokateure, die versuchen, Primärgewalt in Demonstrationen hinein zu tragen. Aus den 70er Jahren gibt es noch die Erfahrung, daß geschulte und aufmerksame Ordner solche Provokateure abdrängen und isolieren können, bevor sie ihren Job machen.

     

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    Allerdings denke ich nicht, daß die CDU Ursachenforschung betreiben muß: Ursachen und Verursacher sind ihr bestens bekannt.

  • R
    RolfStern

    Bleibt zwar schematisch, aber danke Frau Ulrike Winkelmann. Sie haben hier wohl der ersten guten taz.Kommentar zu diesem Thema verfasst.