Kommentar Gescheiterte Familienhilfe: Vom Amt übers Ohr gehauen

Sobald ein konkretes Familienproblem beim Jugendamt bekannt wird, droht automatisch der Verlust des Sorgerechts. Unter diesen Umständen wird kein Elternteil mehr ehrlich Schwierigkeiten bei der Erziehung einräumen wollen.

Annette S. hat einen großen Fehler begangen. Sie hat bei der Behörde, die sich auf die Fahnen schreibt, Eltern und Kindern zu helfen, tatsächlich um Hilfe gebeten. Da sie selbst gehörlos, ihr Sohn aber hörend ist, war sie vorausschauend genug, die Kommunikation mit ihrem Kind nicht zum Problem werden zu lassen - und ging freiwillig zum Jugendamt.

Sie tat das, was eine gewissenhafte Mutter ausmacht: Die eigenen Schwächen erkennen und danach handeln. Die Ironie der Geschichte: Wäre Annette S. schön zu Hause geblieben und hätte die Kommunikationsprobleme mit ihrem Sohn einfach unter den Teppich gekehrt, würde dieser wahrscheinlich heute noch bei ihr leben. Sie hat der Behörde vertraut. Und dieses Vertrauen wurde ihr zum Verhängnis.

Auch wenn die Akte einer gehörlosen Mutter nicht alle Tage auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters landet - die Gangart wird beim Jugendamt in vielen Fällen eine ähnliche sein: Sobald ein konkretes Familienproblem bekannt wird, droht der Familie automatisch der Verlust des Sorgerechts. Unter diesen Umständen wird kein Elternteil mehr ehrlich Schwierigkeiten bei der Erziehung einräumen wollen - verständlicherweise. Das Jugendamt wird immer öfter auf Informationen von Dritten angewiesen sein. Es zerstört so das Vertrauen vieler Eltern und gefährdet seine eigene Arbeit.

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Geboren 1983 in Polen, seit 2009 bei der taz. Erst im Panter-Workshop, dann im Volontariat bei der taz Nord in Hamburg, heute sonntaz-Redakteurin. Studierte Operngesang und Sprachen in Berlin und Rom. Schreibt über gesellschaftliche und politische Themen.

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