Kommentar Gericht lässt Kastanienallee-Demo zu: Tuten und Blasen in der Demokratie
Die Polizei will in der Demo gegen den Kastanienallee-Umbau keine politische Veranstaltung erkennen, weil da auch Musik geplant ist. Dahinter steckt ein irrsinniges Konzept.
D ie Polizei hat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Diesen Eindruck verbreitet die Versammlungsbehörde mit ihrer Entscheidung zum Aktionstag auf der Kastanienallee. Da will eine Bürgerinitiative auf die Straße gehen. Sie protestiert seit Monaten gegen den vom Bezirk geplanten Umbau. Sie hat ein Bürgerbegehren eingeleitet, das gerade erst vom Senat als zulässig gewertet wurde. Und was meint die Polizei? Das könne keine politische Demonstration sein, weil auf der Bühne auch Musik gespielt werde.
Zum Glück hat das Verwaltungsgericht den Irrsinn im Handeln der Polizei bereits als solchen erkannt. Man könnte das Ganze als berlintypische Posse abtun. Doch bei der Falschbewertung der Kastanienallee-Demo handelt es sich nicht um den Fehler eines trotteligen Behördenmitarbeiters. Dahinter steckt Konzept.
Seit zehn Jahren schon versucht die Polizei, Demonstrationsveranstaltern vorzuschreiben, wie viel Inhalt sie liefern müssen. Sie stellt tatsächlich Beamte mit Stoppuhren an die Bühnen, um die Länge der Redebeiträge zu messen. Und keineswegs nur bei spleenig erscheinenden Tanzparaden.
Sicherlich mag es Grenzfälle geben. Aber die Rechtsprechung ist eindeutig: Im Zweifelsfall muss das hohe Gut der Versammlungsfreiheit überwiegen. Entweder hat die Polizei also mutwillig gegen höchstrichterliche Vorgaben verstoßen. Oder sie hatte tatsächlich keinerlei Zweifel, dass die Kastanienallee-Demo unpolitisch ist. Dann aber hat sie nicht nur von Tuten und Blasen, sondern auch von den Grundlagen der Demokratie keine Ahnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin